Meister Eckhart |
Wie der sich Mensch in Frieden halte, wenn er sich nicht in äußerer Mühsal findet, wie Christus und viele Heilige sie gehabt haben Es kann einem schon angst und bange dabei werden, dass unsers Herrn Jesu Christi Wandel und auch der Heiligen so gar streng und mühevoll gewesen, und man selber darin nicht eben stark ist noch sich sonderlich dazu getrieben fühlt. Und wenn sich nun die Leute hierin so unzulänglich finden, so achten sie sich wer weiß wie fern von Gott, als welchem sie nicht könnten nachkommen. Das soll man nicht, weder um einer Verfehlung oder Schwachheit willen noch sonst worum. Denn gesetzt auch, arge Verfehlungen hätten dich dermaßen ausgetrieben, dass du unmöglich dich Gott nahesetzen kannst: So sollst du doch Gott dir nahesetzen. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn der Mensch einen Abstand setzt zwischen sich und Gott. Denn ob der Mensch sich auch entfernt oder nähert – Gott geht doch niemals fern, er hält sich immer in der Nähe, und kann er nicht drinnen bleiben, so kommt er doch nicht weiter als vor die Tür. Und so nun steht es mit der Strenge der Nachfolge. Zunächst musst du dir darüber klar werden, wozu du von Gott am allerdringendsten gemahnt seist. Denn wie Sankt Paulus sagt: Alle Menschen sind mitnichten auf einen Weg zu Gott gerufen. Findest du nun, dass dein nächster Weg nicht geht in vielen äußern Werken und großer Mühsal und Entbehrungen – woran so schlechtweg auch gar nicht groß liegt, es fühle sich denn einer sonderlich von Gott dazu getrieben und besitze die Fähigkeit, solches ohne Beirrung seines Innenlebens durchzuführen – findest du solches nicht in dir, so bleib du ganz in Frieden und nimm es dir nicht weiter an. So möchtest du sprechen: „Liegt denn nichts daran, warum denn haben’s unsere Vorfahren und viele Heilige so gehalten?“ So bedenke: Unser Herr hat ihnen diese Weise gegeben, aber auch die Kraft, die dazu gehört, sie ohne Wanken durchzuführen: Darin sollten sie zu ihrem Heile kommen. Aber Gott hat des Menschen Heil nicht gebunden an eine sonderliche Weise: Was die eine leistet, dies Vermögen hat Gott allen guten Weisen gegeben, keiner ist es versagt. Denn ein Gutes ist nicht wider das andere. Daran sollten sich auch die Leute klarmachen, wie Unrecht sie tun, wenn sie gelegentlich einen vortrefflichen Menschen kennen lernen oder hören von ihm erzählen, der aber nicht ihrer Weise anhängt, so heißt es: Alles verlorene Mühe! Weil ihnen deren Methode nicht gefällt, gleich muss es auch mit ihrer Gesinnung nicht weit her sein. Das ist nicht recht! Man soll andrer Leute Weise achten – auch eine gute Übung das! – und niemandes Weise schmähen. Ein jeder halte sich an seine gute Weise und ziehe dahinein alle anderen und eigne mit ihrer Hilfe sich auch die Vorzüge der andern an. Wechsel der Weise ergibt ein unstet Wesen und Gemüt. Was die eine dir geben kann, das kannst du auch mit der anderen erreichen. Unmöglich können doch alle Menschen nur einem Wege folgen. Das gilt auch von der Nachfolge des strengen Lebens mancher Heiligen, die es sehr hart gehalten haben mit Bußübungen. Diese Weise sollst du hochschätzen und mag dir wohl gefallen, ohne dass du ihr doch folgen darfst. Nun möchtest du sprechen: „Unser Herr Jesus, der hatte doch gewiss die höchste Weise; dem tun wir gut nur immer nachzufolgen.“ Schon recht. Unserm Herrn sollen wir billig nachfolgen, aber doch in allen Stücken nicht! Christus hat vierzig Tage gefastet: Es wird sich wohl niemand übernehmen, ihm darin nachzufolgen. Er hat viele Werke getan, bei denen ihm an geistiger, nicht an buchstäblicher Nachfolge lag. Man muss sich also Mühe geben, wie man ihm vernünftig könne nachfolgen. Denn er hat mehr auf unsere Gesinnung sein Netz gespannt als auf unsere Werke. Immer müssen wir seinem eigentlichen Sinne folgen. Wie, das musst du dir in jedem Fall besonders überlegen. Wie ich oft gesagt habe: Ich achte ein geistiges Werk für viel förderlicher als ein körperliches. „Wie das?“ Christus hat vierzig Tage gefastet. Darin folge ihm, indem du wahrnimmst, wozu du am leichtesten neigst: Da entsage und halt dich in guter Hut. Das frommt dir mehr, dich unbekümmert zu erhalten, als ob du strengstens fastetest von aller Speise. So ist dir’s manchmal schwerer, ein Wort zu verschweigen, als ob man überhaupt schwiege von aller Rede, und fällt’s einem manchmal schwerer, eine kleine Schmähung, auf die nichts ankommt, zu vertragen, wogegen ein wuchtiger Schlag, auf den man sich eingestellt hat, einem leicht vorkäme. Schwerer ist es, allein zu sein unter der Menge, als in der Einsamkeit; schwerer auf Kleines zu verzichten, als auf Großes; oder ein geringes Werk zu vollbringen, als eines, das man für bedeutend hält. So kann einer wohl unserm Herrn nachfolgen nach dem Maße seiner Schwachheit und braucht, ja darf nicht glauben, er reiche da nicht an. |