Worte Bilder Töne Neu Impressum Reinhard
           

Meister Eckhart

Wie man Gott nachfolgen soll und von guter Weise

Wer in ein neues Leben oder Wirken treten will, der gehe zu seinem Gott, und von dem heische er mit großer Kraft und ganzer Andacht, dass er ihm das Allerbeste füge, wie’s ihm am liebsten und seiner würdig sei. Und suche und sinne darin nichts für sich, sondern wo Gott wohl hinaus wolle, und weiter nichts. Was ihm dann Gott zuteilt, das nehm er unmittelbar aus Gottes Hand, halt es für sein Erwünschtes und sei darin ganz ohne Rest zufrieden.

Gescheh es nun, dass ihm nachmals eine andre Weise besser gefällt, so soll er gedenken: ,Deine Weise hat Gott dir gegeben.’ Sie wird wohl für ihn die beste sein, das darf er Gott schon zutrauen! In der einen ergreife man alle gute Weise und nicht bloß ihre Besonderheit. Denn der Mensch muss je eines tun – alles kann er doch nicht tun – und muss je eines sein: In das eine aber soll man alles fassen. Denn wollte einer alles tun, bald dies, bald das, und von seiner Weise lassen und die eines andern annehmen, die ihm im Augenblick besser gefiele, das hätte nur eine bedenkliche Unstetheit zur Folge. Wie denn einer eher vollkommen würde, der aus der Welt erstmals in einen Orden träte, als wer aus einem Orden in einen andern übergeht, wie heilig er auch gewesen wäre. Das kommt vom Wechsel der Weise. Man ergreife eine gute Weise, und bei der bleibe man – und beginne nicht heute eines und morgen ein anderes – unbesorgt, dass man bei dieser etwas versäume: Mit Gott verzieht man nicht, so wenig Gott je selber in Verzug kommt.

Eines somit nimm von Gott, und darein ziehe alles Gute. Findet sich’s aber, dass es sich nicht vertragen will, dass eins das andere nicht duldet, das sei dir ein gewisses Zeichen, dass es von Gott nicht stammt. Es ist nicht ein Gutes wider das andere. (Wie unser Herr spricht: „Ein jedes Reich, das in sich selber geteilt ist, muss zugrunde gehen“, und: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“) So auch sei dir’s ein gewisses Zeichen: Welches Gut ein andres, ob auch ein kleineres, nicht neben sich duldet, dass das unmöglich von Gott stammen kann. Es muss fördern und nicht zerstören. Um es auf einen angemessenen und kurzen Ausdruck zu bringen, daran kein Zweifel verstattet ist: Der getreue Gott gibt einem jeden je sein Bestes! So viel steht einmal fest: Er nimmt keinen im Liegen, den er ebenso gut hätte stehend finden können. Denn Gott, als das Gute, hat mit aller Welt nur immer das Beste im Sinn.

Es wird das Bedenken erhoben, warum denn Gott nicht beizeiten die Leute von hinnen nehme, die er kennt als solche, die aus der Taufgnade fallen werden; dass sie stürben in ihrer Kindheit, eh sie noch zu Verstande kämen, da er ja bei ihnen vorherweiß, dass sie fallen und nicht wieder aufstehen werden; das wär doch bei denen ihr Bestes.

Da erwidere ich: Gott ist kein Vernichter irgendwelches Wertes, sondern ein Vollbringer. Gott ist nicht ein Zerstörer der Natur, sondern ihr Vollender. Zerstörte Gott die Natur schon also im Beginne, so geschäh ihr Gewalt und Unrecht. So etwas tut er nicht. Der Mensch hat einen freien Willen, mit dem er wählen kann gut oder böse, und legt ihm Gott vor: Im Übeltun den Tod, im Rechttun das Leben. Der Mensch soll frei sein und ein Herr aller seiner Werke, unzerstört und unbezwungen. Gnade zerstört nicht die Natur, sie vollendet sie. Verklärung, das ist Gnade an ihrem Ziel.

Somit gibt es nichts in Gott, das zerstörte, was irgend Wesen hat. Sondern er ist ein Vollender aller Dinge. Also sollen auch wir kein kleines Gut, eine unscheinbare Weise, in uns zerstören für eine ansehnlichere, sondern sie zu ihrer Vollendung bringen.

So verlief unser Gespräch „von einem Menschen, der vorhätte, aufs Neue ein Leben zu beginnen“, und beschloss ich’s etwa in folgender Weise: Es müsse dieser Mensch, unbeschadet seiner Sonderweise, werden ein Gottsucher und Gottfinder schlechthin: zu aller Zeit, an allen Stätten und bei jeder Art Leuten. In diesem Bestreben kann man ohn’ Unterlass zunehmen und wachsen und nimmer zu Ende kommen mit Zunehmen.

Reden der Unterweisung