Meister Eckhart |
Von unseres Herrn Leib Wer den Leib des Herrn gern nehmen möchte, der braucht nicht abzuwarten, bis er wer weiß wie große Innigkeit und Andacht in sich verspüre. Sondern er soll sich nur Rechenschaft geben, wie beschaffen sein Wille und seine Gesinnung sei. Du sollst nicht groß anschlagen, was für Gefühle du hast: Das achte groß, was du zu nehmen dir vorsetzt. Wer freien Herzens sich unserm Herrn nahen will, der bedarf dazu als erstes, dass er sich in seinem Gewissen frei finde von jeder Sündenmahnung. Zum andern, dass sein Wille Gott zugekehrt sei, es ihn nur gelüste nach Gott und dem Göttlichen und ihm missfalle, was mit Gott unverträglich ist. Woran er auch gleich prüfen kann, wie fern oder nah er Gott steht: genau so weit er’s hierin brachte. Und das dritte Erfordernis: Dass die Schätzung des Sakraments und die Liebe zu unserm Herrn im Genuss nur immer noch wachse und die Ehrfurcht sich nicht mindere vom öfteren Herzugehen. Denn manchmal was dem einen Leben ist, ist des andern Tod. Also prüfe dich, ob wirklich deine Liebe wächst zu Gott und die Ehrfurcht nicht verlischt: Je öfter du dann zum Sakrament gehst, um so viel besser nur und förderlicher. Und da lass dir deinen Gott nicht fortreden noch fortpredigen. Je mehr, je besser und Gott nur desto lieber. Denn unseren Herrn verlangt selbst danach, dass er in uns und bei uns wohne. Nun möchtest du sprechen: „Ach, Herr, ich finde mich so bloß und kalt und träge, dass ich mich nicht getraue, zu unserm Herrn zu gehen.“ So sag ich: Desto dringender bedarfst du’s, dass du zu deinem Gott gehst! Denn in ihm wirst du geheiligt und ihm alleine angeschlossen und geeint. Denn die Gnade findest du recht eigentlich im Sakrament wie nirgends sonst: Dass deine leiblichen Vermögen da geeinigt und gesammelt werden durch die hehre Kraft der sinnfälligen Gegenwart des Leibes unseres Herrn, also, dass alle deine zerstreuten Sinne hierin gesammelt und in eins gefasst, und die einzeln nur zu tief sich niederneigten, die werden hier aufgerichtet und Gott nach Gebühr erboten. Und werden von Gottes Pflegerhand nach innen gewöhnt und freigestutzt von leiblichen Hemmungen durch die irdischen Dinge. Und werden sehnsüchtig zu göttlichen Dingen und gekräftigt und durch seinen Leib erneuert. Denn wir sollen in ihn verwandelt und allzumal geeinigt werden: Dass das Seine unser wird, und alles Unsere wird das Seine: Unser Herz und das seine: ein Herz, und unser Leib und der seine ein Leib. Dermaßen sollen alle unsere Sinne, dazu unser Wille und Gesinnung, all unsere Kräfte und Glieder ihm einverleibt werden, dass wir ihn spüren und seiner bewusst werden in allen Vermögen Leibes und der Seele. Nun möchtest du sprechen: „Ach, Herr, von solchen großen Dingen werd ich nichts in mir gewahr, nur Armut: Wie dürft ich da denn zu ihm gehen?“ Traun, willst du denn deine Armut wandeln, so geh zu dem entschütteten Schatz alles maßlosen Reichtums. So wirst du reich. Denn des sollst du gewiss sein in dir, dass nur Er der Schatz ist, an dem dir genügen und der dich erfüllen mag. – „Darum“, so sprich, „will ich zu dir gehen, auf dass dein Reichtum einströme in meine Armut, und all deine Unendlichkeit die Fülle werde meiner Leere, deine grenzenlose, unbegreifliche Gottheit Erfüllung für mein ach so schnödes, verdorbenes Menschentum.“ „Ach, Herr, ich habe zu viel gesündigt, nie vermag ich’s zu büßen.“ Da geh zu ihm, er hat vollauf gebüßt alle Schuld. In ihm vermagst du wohl das würdige Opfer dem himmlischen Vater zu opfern für alle deine Schuld. „Ach, Herr, wie gern wollt ich ihm huldigen: Ich kann’s doch nicht.“ Geh zu ihm, er ist allein schon ein huldvoller Willkommensgruß des Vaters, das verkörperte, maßlose, vollkommene Lob aller göttlichen Güte. Kurz: Willst du aller Gebresten mit einem Mal benommen werden, dafür mit Vorzügen und mit Gnaden bekleidet und in den Ursprung wonniglich geführt und heimgeleitet werden, so halt dich so, dass du das Sakrament würdig und oftmals zu nehmen im Stande bist. So wirst du ihm hinzugeeint und mit seinem Leib geadelt. Ja, im Leib des Herrn wird die Seele dermaßen nach Gott eingefügt, dass die Engel alle, nicht Cherubim noch Seraphim, den Unterschied mehr wissen noch finden können zwischen ihnen beiden. Denn wo sie Gott rühren, da rühren sie die Seele, und wo die Seele, da Gott. Nie ward so nahe Einung! Denn die Seele ist viel enger mit Gott vereint, als Leib und Seele, die einen Menschen machen. Diese Einung ist viel inniger, als wenn man einen Tropfen Wasser gösse in ein Fass voll Wein: Es wäre Wasser und Wein; und doch wird beides in eins gewandelt, dass alle Kreaturen außer Stande wären, den Unterschied zu finden. Nun möchtest du sprechen: „Wie mag das vor sich gehen, noch empfinde ich rein nichts davon!“ Was liegt daran? Je weniger du’s empfindest und fester glaubst, umso löblicher dein Glaube und wird umso höher eingeschätzt. Denn ein ganzer Glaube ist viel mehr als ein Wähnen: In ihm besitzen wir ein wahres Wissen. Fürwahr, es fehlt uns nichts als ein rechtes Glauben. Dass uns dünkt, wir empfingen Wertvolleres in diesem als in jenem, das rührt einzig und allein her von äußeren Festsetzungen. In Wirklichkeit steckt in einem nicht mehr als im andern: Wer gleich glaubt, der nimmt gleich und hat gleich. Nun möchtest du sprechen: „Wie könnt ich solche hohen Dinge glauben, da ich mich dessen doch nicht fähig finde, vielmehr recht unvollkommen und hingezogen zu vielen Dingen.“ Sieh, da musst du ein Doppeltes an dir ins Auge fassen, wie solches auch an unserm Herrn zu finden war. Auch bei ihm gab es Unterschied der oberen und der niederen Kräfte, auch bei ihm hatten sie zweierlei Werk. Seinen oberen Kräften eignete ein Besitzen und Genießen ewiger Seligkeit. Aber die niederen, die standen zur selben Stunde im ärgsten Leiden und stritten auf Erden. Und keine dieser Tätigkeiten hinderte die anderen in ihrem Vorhaben. So sollen auch in dir die oberen Kräfte erhoben sein in Gott und ihm zumal erboten und hinzugefügt. Doch wahrlich, alles Leiden soll man ausschließlich dem Leib, den niederen Kräften und den Sinnen befehlen. Aber der Geist soll sich mit ganzer Kraft erheben und losgelöst in seinen Gott versenken. Der Leidenszustand aber der Sinne und niederen Kräfte, der geht die Seele nichts an, noch deren Anfechtungen. Je länger und stärker der Streit, umso größer und löblicher auch der Sieg und die Ehre des Sieges. Denn je schwerer die Anfechtung, je stärker der Anprall des Bösen, und man sie doch noch überwindet, umso eigner wird dir die Tugend, umso lieber deinem Gott. Darum: Willst du deinen Gott würdig empfangen, so lass dir angelegen sein, wie deine oberen Kräfte in deinen Gott gerichtet, dein Wille nach seinem stets auf der Suche sei und deine Treue stets fester an ihm Wurzel fasse. Nie wird man in dieser Gesinnung den werten Leib unseres Herrn empfangen, dass einem nicht sonderliche große Gnade würde. Und je öfter, desto förderlicher. Ja, es könnte einer den Leib des Herrn nehmen in solcher Andacht und Gesinnung, wär er anders recht verfasst, dass er gleich kommen müsste in den untersten Chor der Engel. Er könnte ihn derart empfangen zum andern Mal, dass er in den zweiten Chor erhoben würde. Ja, mit dermaßen großer Andacht vermöchtest du ihn zu nehmen: Du würdest gewürdigt in den achten, gar den neunten Chor. Darum, stünden zweier Menschen Leben sich sonst in allen Stücken gleich, und der eine hätte einst unsers Herren Leib mit Würdigkeit einmal mehr empfangen als der andere: Dadurch wird dieser sein wie eine blitzende Sonne vor dem andern und eine sonderliche Einung mit Gott erlangen. Dies Nehmen und dies selige Genießen des Leibes unseres Herrn hängt nun keineswegs an dem äußerlichen Genuss; es genügt dazu auch ein geistiger Genuss, mit sehnendem Gemüt, in Hingabe und Andacht. Auch so kann man ihn so aufrichtig nehmen, dass man reicher wird an Gnaden als irgendein Mensch auf Erden. Das kann der Mensch verrichten tausend Mal am Tage und mehr, wo immer er weile, ob er siech sei oder gesund. Nur muss man sich als zu einem Sakrament herzubegeben: nach Gebühr in weihevoller Stimmung und voller Inbrunst. Fehlt einem aber die Stimmung und die Inbrunst, so reize und bereite man sich dazu und halte sich danach. So wird man heilig in der Zeit und selig in der Ewigkeit. Wenn jemand vorhat, den Leib des Herrn zu nehmen, soll das ohne große Enttäuschung ablaufen, so ist es ziemlich und sehr förderlich, dass man zuvor beichte, auch wenn man keine Gewissensbisse fühlt, um der Frucht des Sakraments der Beichte willen. Ständ’s aber so mit ihm, dass er sich irgendworüber strafen muss und vor Bekümmernis sich zur Beichte nicht fähig fühlt, so gehe er zu seinem Gott und gebe er sich dem schuldig in rückhaltloser Reue und sei beruhigt, bis er zur Beichte Muße fühlt. Entfallen hierbei inzwischen die Bedenken und Gewissensbisse, so mag er denken, Gott habe ihrer auch vergessen. Man soll Gott eher beichten als den Menschen, wobei man schuldig ist, vor Gott die Fehler schwer zu wägen und sich sehr zu strafen. Auch soll man nicht, weil man doch zum Sakrament gehen will, das leichtfertig übergehen und unterwegs lassen um äußerer Geschäfte willen. Wenn anders des Menschen Meinung auf Gott gerichtet ist und gut. |