Worte Bilder Töne Neu Impressum Reinhard
           

Meister Eckhart

Von der Macht des Willens

Durch keine Enttäuschung soll man sich abschrecken lassen, derweil man sich bei gutem Willen findet, es sich auch nicht zu Herzen nehmen, ob man ihn auch nicht zu vollbringen vermag mit der Tat; vielmehr sich nicht für ferne achten von der Tugend, wofern man in sich rechten Willen fühlt, denn Tugend und jede Güte beruht nur auf dem guten Willen. Nichts kann dir fehlen, wenn anders du ein echtes, rechtes Wollen hast, weder Liebe noch Demut noch sonst ein Vorzug. Sondern was du mit aller Kraft und ganzem Willen willst, das besitzest du, und Gott samt allen Kreaturen können dir’s nicht benehmen. Vorausgesetzt, dass dein Wille ein ganzer, ein göttlicher und vor Gott ein gegenwärtiger ist. Nicht ein „Ich wollte wohl“ – das wäre etwas Künftiges, sondern: „Ich will, dass es jetzt also sei!“ Überlege doch: Mag ein Gegenstand auch tausend Meilen weit sein, und ich fasse den Willen, ihn zu besitzen, so ist er eher mein Eigentum, als was ich im Schoße halte und will es nicht besitzen.

Und die Macht eines guten Willens ist dabei um nichts geringer als die eines bösen. Ob ich auch nie etwas Böses tue: Habe ich aber dennoch den Willen zum Bösen, so hab ich die Sünde begangen, wie wenn ich die Tat begangen hätte. In einem entschlossenen Wollen vermag ich so viel Schuld auf mich zu laden, wie wenn ich alle Welt gemordet hätte, und brauche doch keinen Finger dazu zu rühren. Warum sollte nicht dasselbe möglich sein beim guten Willen, ja noch viel und ungleich mehr?

Und wirklich, mit meinem Willen vermag ich alles: kann aller Menschen Mühsal tragen, kann alle Armen speisen und aller Menschen Arbeit leisten und was du sonst erdenken magst. Gebricht dir’s nicht am Wollen, sondern allein am Vermögen, wahrhaftig, vor Gott hast du es alles getan, und niemand kann dir das benehmen noch es dir einen Augenblick streitig machen. Denn tun wollen, sobald ich’s vermag, und getan haben, das gilt vor Gott gleich. Wollt ich zum Beispiel so viel Wissen besitzen, wie irgend der Menschheit Teil ist, und ist mein Begehren danach nur stark und ungeteilt, wahrhaftig, so besitze ich’s. Denn was ich haben will, das habe ich. Oder begehrte ich Liebe zu haben wie nur je ein Mensch, oder Gott zu verherrlichen, oder was du magst: Das besitzest du alles, so du ganzen Willen hast.

Nun möchtest du fragen: Wann denn der Wille ein rechter und ganzer Wille ist? Wenn er alle Eigenheit abgelegt, aus sich selber ausgegangen und in den Willen Gottes eingebildet und umgeformt ist. Je mehr das der Fall ist, desto mehr ist dein Wille ein rechter und wirklicher Wille, kraft dessen du zu allem fähig bist, sei’s Gottesliebe oder was du willst.

Es wird der Einwand erhoben: „Wie aber kann ich Gottesliebe besitzen, wenn ich doch davon nichts spüre noch gewahr werde? Wie ich an anderen Leute sehe, die große Werke aufzuweisen haben und finde an ihnen wunder welche Andacht, was mir doch alles abgeht?“

Hier musst du zwei Seiten unterscheiden an dieser Liebe: ein Wesen – und ein Werk oder Ausbruch solches Wesens. Stätte der Liebe ist allein der Wille: Wer mehr Willen hat, der hat auch der Liebe mehr. Aber wer davon mehr habe, das weiß keiner vom andern, das liegt verborgen in der Seele, weil Gott verborgen liegt im Grunde der Seele. In diesem Sinne fällt die Liebe ganz und gar in den Willen: Wer mehr Willen hat, der hat auch mehr Liebe.

Nun ist da aber noch ein Zweites, ein Ausbruch und Auswirkung der Liebe, das denn freilich sehr ins Auge sticht wie Innigkeit, Andacht und Jubilieren. Aber ehrlich gesagt: Das Beste ist das keineswegs. Denn es stammt mitunter auch nicht aus Gottesliebe, sondern aus bloßer Natürlichkeit, dass man dergleichen schmelzende Gefühle zu kosten bekommt. Es kann des Himmels Einfluss sein, es kann aber auch sinnlich eingetragen sein, und die dergleichen häufiger erleben, die sind darum noch lange nicht die Besten. Denn gesetzt auch, es stamme wirklich von Gott, so schickt unser Herr das manchen Leuten, um sie neugierig zu machen und anzulocken, wozu noch kommt, dass dergleichen Erlebnisse den Menschen stark von seiner Umgebung abziehen. Aber dieselben Menschen, wenn sie hernach in der Gottesliebe gewachsen sind, so haben sie vielleicht nicht mehr so viel ,Gefühle’ und ,Erlebnisse’. Und daran erst kommt an den Tag, ob sie wirklich Gottesliebe besitzen: Wofern sie auch ohne solchen Rückhalt Gott unentwegt Treue halten.

Angenommen nun, es sei eitel Gottesliebe, so ist das doch nicht die beste Seite daran. Denn solchen Jubilus muss man zuweilen unterbrechen für ein Besseres an Liebe, um zwischendurch ein Liebeswerk zu üben, wo man seiner gerade bedarf: zu geistlicher, weltlicher oder auch rein leiblicher Förderung. Wie ich auch sonst gesagt habe: Wäre einer in solcher Verzückung wie einstmals Sankt Paulus und wüsste einen siechen Menschen, der eines Süppleins von ihm bedürfte, ich achte es für weit besser, du ließest von Liebe und Verzückung und dientest Gott in einer größeren Liebe.

Man braucht auch nicht Angst zu haben, dass man der Gnade darüber verlustig gehe. Denn was man aus Liebe willig lässt, das empfängt man umso herrlicher zurück. Wie Christus spricht: „Wer etwas lässt um meinetwillen, der soll hundertfach wiedererhalten.“ Es ist so: Wes einer Gottes wegen sich entschlägt – und verlangte ihn noch so dringend nach solchen Tröstungen und innigen Gefühlen, und tut dazu was er vermag, und Gott gibt es ihm nicht, und er getröstet sich dessen und will es Gottes wegen gerne missen – wahrlich, er wird es in sich finden genau so, wie wenn er diese Güter sämtlich in seinem Verwahrsam hätte. Aus Liebe darf man schon getrost sich aller Labungen der Liebe begeben.

Dass man solches Empfinden um der Liebe willen zuweilen unterbrechen muss, das weist uns der liebe Paulus, wenn er sagt: „Ich habe gewünscht, dass ich von Christo müsse geschieden sein um der Liebe willen zu den Brüdern.“ Von dieser, nicht von jener ersten Seite der Liebe meint er’s; denn von der wollt er um keinen Preis der Welt auch nur einen Augenblick geschieden sein.

Du sollst aber wissen, dass die Freunde Gottes nie ohne Labe sind, denn was Gott will, das ist, ob erquicklich oder unerquicklich, für sie das höchste Labsal.

Reden der Unterweisung