Worte Bilder Töne Neu Impressum Reinhard
           

Meister Eckhart

Wie man sich verhalten soll, wenn man sich in Sünden findet

Gesündigt haben ist keine Sünde, sobald’s uns leid ist. Zwar darf man Sünde nicht begehen wollen, um alles nicht in Zeit noch Ewigkeit, weder ,tödliche’ noch ,lässliche’, sondern überhaupt keine. Wer sich auf Gottes Art versteht, der wird sich immer vor Augen halten, dass der getreue, huldreiche Gott den Menschen aus einem sündigen in ein göttliches Leben gebracht, aus seinem Feind ihn zu seinem Freund gemacht hat – was mehr ist, als eine neue Erde zu schaffen. Gewiss der stärksten Antriebe einer, den Menschen ganz auf Gott zu stellen und wunder wie zu entzünden in mächtiger Gottesliebe!

Aber wer wirklich hereingenommen wäre in den Willen Gottes, der wird auch nicht wollen, die Sünde, in die er gefallen, möge überhaupt nicht geschehen sein. Nicht zwar insofern, als sie etwas Widergöttliches war, sondern sofern du damit zu desto größerer Liebe gebunden und dich durch sie gemindert und gedemütigt fühlst. Denn war deine Tat auch wider Gott gerichtet, so darfst du doch Gott schon zutrauen, dass er dir so etwas nicht verhängt hätte, er wollte denn dein Bestes daraus ziehen. Wenn dann aber der Mensch sich entschlossen aufrichtet und abkehrt von der Sünde, so tut der getreue Gott, als ob der Mensch nie in Schuld gefallen wäre, und will ihn alle seine Sünden auch nicht einen Augenblick entgelten lassen: Und wären ihrer mehr, als je die Menschheit aufgehäuft, nie wieder wird ihn Gott etwas davon entgelten lassen; er ist imstande, mit diesem Menschen alle Vertraulichkeit zu haben, die er je einem Sterblichen gestattete. Ob er ihn anders jetzt bereit findet, so sieht er nicht an, was er zuvor gewesen ist. Gott ist ein Gott der Gegenwart: Wie er dich findet, so nimmt er dich und lässt dich zu. Er fragt nicht, was du gewesen, sondern was du jetzt bist. Allen Schaden und Schande, die Gott angetan werden durch die Sünde, die will er sich gerne gefallen lassen, jahrelang, nur damit der Mensch hernach zu einer überwältigenden Erkenntnis seiner Liebe komme und Anhänglichkeit und Dankbarkeit bei ihm nur umso stärker, sein Ernst und Eifer nur umso brennender werde, wie das ja billig nach der Sünde zu geschehen pflegt.

Darum hat denn auch Gott das Sündenelend am öftesten gerade über die Menschen verhängt, die er zu großen Dingen hat ersehen wollen. Sieh es doch an: Wer war unserm Herrn lieber und heimlicher als die Apostel? Nicht einer bleibt, der nicht gefallen war, alle waren sie Todsünder gewesen. Im alten und im neuen Bunde hat er’s immer wieder bewiesen an denen, die ihm hinterher wer weiß wie nahe standen. Und auch noch hört man selten, dass die Leute es weit bringen, sie seien denn zuerst auf Abwege geraten. Worin Gott uns seine große Barmherzigkeit zu erkennen geben und uns mahnen will zu rechter Demut und Bedenklichkeit. Denn so oft die Reue sich erneuert, wird auch die Liebe mit Macht gesteigert und erneuert werden.

Reden der Unterweisung