Worte Bilder Töne Neu Impressum Reinhard
           

Katharina von Genua

1

der herr: Die Liebe macht aus Tieren Menschen, aus Menschen Engel, aus Engeln sozusagen durch Teilnahme Götter. Du siehst, wie durch sie die Menschen sich in allem verändern, aus irdischen Wesen werden sie zu himmlischen und üben sich mit Leib und Seele in geistlichen Dingen. Du siehst sie ihre Worte und ihr Leben ändern und das Gegenteil von dem tun, was sie zu tun und zu sagen gewohnt waren. Jeder wundert sich über diese Veränderung, und sie scheint ihm gar köstlich, ja man beneidet die, denen solches widerfährt, trotzdem niemand das Werk versteht, der es nicht selbst in sich erprobt.

Diese innige, eindringliche, süße Liebe, die der Mensch in seinem Herzen empfindet, lässt sich nicht erkennen, schildern, begreifen, sie kann nur gefühlsmäßig wahrgenommen werden. Der Mensch fühlt sich von etwas eingenommen, gebunden, umgewandelt, glücklich, friedlich und in sich geordnet, seine körperlichen Triebe empören sich nicht, er besitzt nichts, wünscht sich aber auch nichts, sondern bleibt ruhig und zufrieden im Innersten seines Herzens und weiß von nichts anderem mehr. Ein ganz zarter Faden hält ihn fest gebunden, der in der Hand Gottes ruht.

2

der herr: Ich neige mich zum Menschen herab mit einem überaus feinen Goldfaden, das ist nämlich meine verborgene Liebe zu ihm. An diesem Faden ist eine Angel befestigt, die sich in das Herz des Menschen hakt. Dadurch fühlt er sich verwundet, weiß aber nicht durch wen; er bleibt gebunden und festgehalten, kann sich nicht mehr bewegen noch sich zu bewegen verlangen, denn jenes Herz wird von mir gezogen, zu mir, dem Gegenstand und Ziel seiner selbst. Er aber begreift es nicht. Doch ich, der ich den Faden in Händen halte, ziehe ihn immer mehr an mich durch eine so zarte und eindringliche Liebe, dass der Mensch, überwunden und besiegt, ganz außer sich gerät.

Gleichwie ein Gehängter, der mit seinen Füßen die Erde nicht berührt, in der Luft an dem Seil hängt, das ihn dem Tod überliefert, so hängt jene Seele an dem Faden dieser zarten Liebe, durch die all die verborgenen, unscheinbaren, unerkannten Unvollkommenheiten des Menschen sterben, und alles, was diese Seele nachher liebt, liebt sie mit der Liebe jenes Fadens, durch die sie ihr Herz gebunden fühlt. So wird auch alles Übrige, was der Mensch vollbringt, mit dieser Liebe vollbracht. Denn Gott ist es, der wirkt mit seiner reinen Liebe, ohne dass der Mensch sich hineinmengt.

3

Die Seele: Du hast mir, Herr, ein Licht leuchten lassen, in dem ich gewahr wurde, dass alle andere Liebe nur Eigenliebe war. All jene Wirkungen, die von Liebe erfüllt schienen, sie waren alle durch mich befleckt. Doch nachdem ich deine reine, einfache, aufrichtige und glühende Liebe mit ihren Wirkungen gesehen habe, bin ich ganz außer mich geraten und untergegangen in dieser Liebe, und jede andere Liebe erschien mir als Selbstsucht, ja noch mehr denn Selbstsucht. O göttliche Liebe, ich bin überwunden und von dir besiegt. Ich bin ganz untergegangen in Liebe und kenne doch die Liebe nicht. Ich fühle, wie diese Liebe in mir wirksam ist, doch ich verstehe ihr Wirken nicht. Ich fühle mein Herz in Liebe entbrannt, das Feuer der Liebe aber sehe ich nicht.

4

Die Seele: Die Liebe nimmt Gefühl und Verstand ganz und gar gefangen, so dass sie nichts anderes mehr begehren. Auch das Gedächtnis ist von ihr eingenommen; alle Seelenkräfte sind befriedigt. Auf diese Weise ist die Liebe allein Bewohner und Besitzer der Seele und gewährt niemand anderem mehr Eingang. Ein solcher Mensch ist immer in Tätigkeit ohne Betätigung. Er ist gebunden, ohne zu wissen, wer ihn hält. Er lebt in einem Gefängnis, das keine Tür hat. Die Seele kann sich weder ihres Verstandes noch ihres Gedächtnisses noch ihres Willens bedienen. Sie gleicht einem unsinnigen Wesen, scheint stumm und blind zu sein, denn die göttliche Liebe hat alle Empfindungen der Seele und des Leibes überwunden und gebunden.

5

Die Seele: O Liebe, durch deine Anmut brichst du die Herzen, die härter sind als Diamanten, und machst sie schmelzen wie Wachs im Feuer. Du erreichst es, dass sich die größten Menschen für die kleinsten dieser Erde und die Reichsten für die Ärmsten dieser Welt ansehen. Du lässt die weisen Menschen gleich Toren erscheinen, den Gelehrten entziehst du ihr Wissen und gibst ihnen eine Erkenntnis, die alle andere Erkenntnis überragt. O Liebe, du vertreibst allen Trübsinn aus dem Herzen, alle Härte, alle Selbstsucht und jede weltliche Lust. Du wandelst die Menschen aus bösen in gute, aus arglistigen in einfältige, und durch deinen Scharfsinn raubst du dem Menschen seinen freien Willen, so dass er sich dann zufrieden gibt, von dir allein geführt zu werden.

6

Die Seele: O Liebe, je mehr der Mensch deine liebliche Glut empfindet, und je mehr er sie erkennt, desto mehr bleibt er davon entflammt, versunken in sie und ganz außer sich. Er verlangt nach keinem anderen Beweis als den, den er empfindet, und kann auch keine andere Erklärung dafür geben. Denn die Liebe hat seine Vernunft in Besitz genommen ebenso wie seinen Willen. Sie ist Herrin des ganzen Menschen, sie vollbringt all sein Wollen, wie sie will, und wann sie will. Ihrer ist auch ganz das Werk, denn alsdann werden alle Werke entweder aus Liebe oder in der Liebe oder auch von der Liebe vollbracht.

Man sagt, die Werke werden aus Liebe vollbracht, wenn der Mensch alles, was er tut, aus Liebe zu Gott tut, aus jener Liebe, die ihm von Gott gegeben ist mit dem Trieb, für sein und seines Nächsten Heil zu wirken. In diesem ersten Stadium der Liebe lässt Gott den Menschen viele und verschiedenartige, nützliche und notwendige Werke vollbringen, und zwar werden sie mit einem Gefühl frommer Zuneigung gewirkt.

Die Werke des zweiten Stadiums der Liebe werden in Gott vollbracht. Das sind jene Werke, die ohne Ausblick auf irgendeinen eigenen oder eines Nächsten Nutzen getan werden, die aber in Gott verbleiben ohne irgendeinen anderen Zweck desjenigen, der sie gewirkt hat. Und wegen der Gewohnheit, die sich der Mensch erworben hat, Gutes zu wirken, verharrt er im Wirken, trotzdem ihm Gott seinen eigenen Teil dabei entzogen hat, der ihm früher half und ihn erfreute. Deshalb ist aber auch ein solches Werk vollkommener als die Ersteren, denn in diesen verfolgt der Mensch noch viele Zwecke, die ihm Leib und Seele labten.

Die Werke endlich, die von der Liebe vollbracht werden, sind noch vollkommener als diejenigen der beiden anderen Arten, denn sie werden ohne eine Beteiligung des Menschen vollbracht. Die Liebe hat den Menschen so sehr überwunden und besiegt, dass er sozusagen ganz untergegangen ist im Meer der Liebe, ohne zu wissen, wo er sei. Er ist in sich selbst ganz vernichtet und nicht im Stande, irgendetwas zu wirken. In diesem Fall ist es die Liebe, die in dem Menschen wirkt, und ihre Wirkungen sind Werke der Vollkommenheit, da sie ohne eigenes Dazutun des Menschen vollbracht werden. Diese süße und reine Liebe hat den Menschen genommen und ganz in sich hineingezogen und ihn ganz von seinem Selbst befreit. Sie hat ganz Besitz von ihm ergriffen, sie wirkt fortwährend in diesem Menschen und durch diesen Menschen, nur zu seinem Wohl und Nutzen, ohne dass er selbst sich hineinmengt.

O Liebe, wie süß ist deine Gesellschaft, wie treu deine Hut! Von dir lässt sich nicht gut reden, ja auch nur denken, aber selig das Herz, das von dir in Besitz genommen und gefangen gehalten wird! Die Liebe macht die Menschen gerecht, einfältig, lauter, reich, weise und zufrieden; ohne Mühsal und durch ihre Lieblichkeit lindert sie jegliche Bitterkeit. O Liebe, alles, was durch dich getan wird, wird mit Leichtigkeit, mit Freude und gerne getan. O sanfte Knechtschaft der Liebe, die den Menschen in dieser Welt in Freiheit und Zufriedenheit versetzt!

7

Die Seele: Die Seele begreift ein solches Wirken nicht; sie erkennt nur, dass bei einem Kommen der Liebe in die geliebte Seele sie ihr alle erdenklichen Zärtlichkeiten erweist, die ein Freund dem anderen angedeihen lässt, wenn die Liebe so groß ist, wie man sie überhaupt nur zu ersinnen im Stande ist. Ein solches Wirken macht die Seelen schmelzen, hebt sie empor über die Erde, reinigt sie, vereinfacht sie, tröstet und stärkt sie, indem es sie immer mehr an sich zieht in das liebevolle Feuer.

8

Die Seele: O Liebe, du ziehst das Herz ganz in dich hinein und lässt die menschliche Natur einsam auf Erden wandeln, wo sie keinen Ort der Ruhe findet. Sie gleicht einem geächteten Geschöpf, das jeden Gegenstand im Himmel und auf Erden verloren hat. Ich sehe sie ein Leben führen, sehr unähnlich dem Leben der anderen, das aber mehr Staunen hervorruft als Erbauung. Sie achtet keinerlei Dinges, sie scheint Herrin des Himmels und der Erde zu sein, so arm sie auch ist. Nur wenige können sie verstehen; sie hat große Freiheit und lebt ohne Angst, dass ihr je etwas abgehen könne, sie hat nichts, aber alles scheint ihr zu gehören.

9

der herr: Meine Liebe ist der Seele so wonniglich, dass jede andere Wonne, die der Mensch in dieser Welt genießen kann, von ihr verschlungen wird. Mein Geschmack löscht jeden anderen Geschmack aus. Mein Licht blendet jeden, der es sieht. Alle Empfindungen der Seele sind dermaßen ergriffen und gebunden in dieser Liebe, dass sie nicht wissen, wo sie sind, noch begreifen, was sie sind, noch was sie getan haben oder noch tun müssen; sie sind gleichsam außer sich, ohne Vernunft, ohne Gedächtnis, ohne Willen.

Menschen dieser Art haben keine Lust, keinen Geschmack an den Dingen dieser Welt. Sie genießen nur das Notwendige, und diese notwendigen Dinge nehmen sie gleich einer Arznei, ohne Geschmack daran zu finden. Sie sind in ihrem Innern fortwährend beschäftigt und dadurch nicht erreichbar für zeitliche Vergnügen. Gott sendet ihnen Flammen und Pfeile brennender Liebe, die so fein sind, dass sie in das Innerste ihrer Herzen eindringen. Der Mensch ist dadurch in einer Weise vernichtet, dass er nicht mehr weiß, wo er ist, weder der Seele noch dem Leibe nach; aber innerlich bleibt er ganz eingeschlossen in diese heimliche und zarteste Liebe, durch welche die Seele ganz betäubt wird und verstummt.

10

Ein Herz, das in Gott ruht, sieht alle geschaffenen Dinge unter sich. Nicht aus Hochmut oder Größenwahn, sondern wegen seiner Vereinigung mit Gott, derentwegen es ihm scheint, als ob alles, was Gottes ist, auch ganz sein Eigen wäre. Es sieht nichts anderes als Gott, kennt nichts anderes, versteht nichts anderes. Ein Herz, das in Gott verliebt ist, kann nicht überwunden werden, da Gott seine Stärke ist. Du kannst es nicht schrecken mit der Hölle, noch erfreuen durch das Paradies, denn es ist derart in sich geordnet, dass es alles, was ihm widerfährt, aus der Hand Gottes annimmt, mit ihm bei allen Dingen in Frieden und dem Nächsten gegenüber nahezu unveränderlich bleibt.

11

Die Seele: O Liebe, man nennt dich so lange Liebe, bis alle Liebe, die Gott in das Herz des Menschen eingegossen hat, verzehrt ist. Dann ist das Herz so trunken davon, so eingetaucht in die Liebe, dass der Mensch nicht mehr weiß, was Liebe ist. Denn alsdann wird sie Geist und vereinigt sich mit dem Geist des Menschen, so dass der Mensch geistig wird. Und da der Geist unsichtbar und für die Seelenkräfte unergründlich ist, so wird der Mensch so besiegt und überwunden, dass er nicht mehr weiß, wo er ist, noch wo er sein, noch wo er hingehen soll. Aber durch diese verborgene und tiefinnerliche Vereinigung des Geistes mit Gott verbleibt der Seele ein lieblicher Eindruck mit einer sicheren und starken Befriedigung.

12

Die Seele: O dass ich geeignete Worte fände für diese gnadenreiche Freundschaft und diese sich ganz verlierende Vereinigung. Ich sage sich verlierend von Seiten des Menschen, der alle Worte verloren hat, Worte der Liebe, der Vereinigung, der Freundschaftlichkeit, der Umgestaltung, der Süßigkeit, der Lieblichkeit, des Wohlwollens, kurz alle Worte, durch die sich zwei getrennte Herzen verständigen und einigen konnten. Es verbleibt allein ein nackter Geist, der ohne Mischung wirksam ist und den man nicht begreifen kann. O unsichtbarer Geist! Niemand kann dich deiner Nacktheit wegen halten. Du kennst dich selbst nicht, noch wirst du von anderen erkannt in dieser Welt.

13

Die Seele: O Mein Herz, was wirst du sagen über diese Liebe? Was empfindest du? Ich sage: Meine Worte sind ein inneres Jubilieren, für das es keine geeigneten Ausdrücke gibt. Selbst der, der diese Liebe fühlt, versteht sie nicht ganz. Alles, was man über die Liebe sagen kann, ist nichts, denn je weiter du in sie eindringst, desto weniger weißt du von ihr. Das Herz aber ist von ihr erfüllt und befriedigt und sucht nach nichts anderem. Alle ihre Worte sind innig, genussreich, ergötzlich und so zart, heimlich und mit demjenigen einigend, der sie eingibt, dass nur das Herz allein sei erfasst durch sein geheimnisvolles Mit-Gott-geeint-Sein. Aber Gott allein ist es, der diese Worte versteht; das Herz empfindet sie, versteht sie aber nicht. Und so bleibt das Werk ganz Gottes, der Nutzen aber dem Menschen. Doch jener innige Liebesverkehr, den Gott mit dem Herzen des Menschen unterhält, bleibt Geheimnis zwischen ihnen, zwischen Gott und dem Herzen.

14

Ich hatte die Schlüssel des Hauses an die Liebe abgegeben, mit der vollen Macht, alles zu tun, was nötig wäre, und keine Rücksicht auf die Seele, auf den Leib, auf Habschaft, Verwandte, Freunde, ja auf die ganze Welt zu nehmen. Von alledem aber, was das Gesetz der reinen Liebe erfordern würde, sollte nicht das Mindeste fehlen.

Und als ich sah, dass diese Liebe die Sorge tätig auf sich nahm, da kehrte ich mich zu ihr und blieb unerschütterlich in der beschauenden Hingabe an ihre notwendigen und gnadenvollen Wirkungen, die sie mit solcher Liebe und Sorgfalt, mit solcher Gerechtigkeit vollbrachte, dass sie zur vollen Stillung des inneren und äußeren Teiles meiner Persönlichkeit weder mehr noch weniger tat, als eben notwendig war. Und ich war vom Beschauen dieses ihres Werkes so in Anspruch genommen, dass es mir, wenn sie mich mit Seele und Leib in die Hölle geworfen hätten, nicht anders denn als lauter Liebe und Trost erschienen wäre.

15

Ich will keine geschaffene Liebe, das heißt, keine Liebe, die man kosten, verstehen und mit Lust genießen kann. Ich will, sage ich, keine Liebe, die durch Verstand, Gedächtnis und Willen ihren Fortgang habe. Denn die reine Liebe geht über alle diese Dinge hinaus und übersteigt sie. Sie sagt: „Ich kann mich nicht zur Ruhe geben, bis ich in dieser göttlichen Brust eingeschlossen bin, wo alle geschaffenen Formen sich verlieren.“ Ich kann deshalb im Innern nichts anderes sehen als ihn; denn ich lasse da keinen andern eindringen, mich selber noch weniger als einen anderen. Und wenn es doch geschieht und es die Not erfordert, dass dieses Ich von mir genannt werde, wegen des Lebens und der Welt, die von nichts anderem zu reden weiß, so sage ich allemal, wenn ich mich nenne oder von andern genannt werde, im Innern bei mir: Dieses mein Ich ist er, und ich kenne kein anderes Ich als ihn selber.

Der Heiligen Katharina von Genua geistliches Zwiegespräch über die göttliche Liebe, Theatiner Verlag, München 1927