1
O weh um jenes Herz, in dem kein Feuer brennt,
das nicht die hehre Glut der Liebessonne kennt;
wer einen ganzen Tag ohn’ Liebe hingebracht,
tut recht, wenn jenen Tag er ’nen verlornen nennt.
2
Aus eitler Liebe bricht hervor kein Strahl;
sie ist ein Feuer, glutenlos und fahl.
Die wahre Liebe kennt nicht Jahr und Tag,
nicht Nacht, nicht Ruhe, Schlummer nicht und Mahl.
3
Ein jedes Herz, ob es verschrieben sei
schon der Moschee, der Kirche; – einerlei:
Wenn Er’s gebucht im Buch der wahren Liebe,
von Paradies und Hölle ward es frei.
4
Weißt du, o Freund, warum wir die Zypresse
den Baum der Freiheit nennen und die Lilie
der Freiheit Blume heißt? Wohl hundert Arme
von stolzem Wuchs hat die Zypresse, dennoch
greift sie nicht zu. Zehn Blütenblätter hat
die Lilie, das sind Zungen, dennoch redet
sie nicht ein Wort. Ahnst du, was Freiheit ist?
5
Ich bin befreundet mit dem Trennungsschmerze,
wo ich auch geh’ und steh’, füllt er mein Herze.
Dein nur gedenkend seufz’ ich Tag und Nacht,
an meinem Bette brennt der Sehnsucht Kerze.
6
O Herr! von Selbstgefälligkeit erlöse mich!
Lenk mich zu Dir, und von mir selbst erlöse mich!
Solang ich nüchtern bin, kenn’ Gut und Böse ich,
vergessen lass im Rausch Du Gut und Böse mich.
7
Mach auf das Tor! Der öffnet, bist nur Du!
Zeig’ mir den Weg, der Führer bist nur Du!
Ich leg’ die Hand in keines andern Hand, –
sie sind vergänglich; ewig – bist nur Du!
8
Klag nicht den Himmel an, dass dich der Jammer
und das verwirrend holde Glück der Liebe
erschüttern wie Gewittersturm, – der Himmel,
durchtobt von den entsetzlichsten Gewittern,
ist so verliebt wie du und schwankt dahin
wie du, ratloser noch, hilfloser noch …
9
O, Du im All, Idol Du meiner Wahl,
mir mehr als Seele und der Augen Strahl;
das Köstlichste – so sagt man – sei das Leben! –
Du bist mir köstlicher als dies noch hundertmal.
10
Ich bin berückt! Mein Herz in höchster Glut!
Ich möchte reden, doch die Zunge ruht.
O großer Gott! Sah je die Welt solch Wunder:
Ich sterb’ vor Durst und steh an klarer Flut!
11
Das Hier und Jetzt hab’ ich mit Fleiß durchmessen.
Du bleibst das Höchste, was mein Herz besessen.
Vor Deinem Antlitz bleich ist selbst der Mond,
vor Deinem Wuchs sind plump selbst die Zypressen.
12
Ich nahm mir endlich vor, nüchtern und fromm zu sein,
und in mein Herze zog nun voller Friede ein.
Doch ach! die Frömmigkeit zerschellt’ am ersten Krug,
die Nüchternheit ertrank im ersten Becher Wein!
13
Die Hand am Glas, das Dunkel ich durchdringe,
vom Wein durchglüht, ich tausend Schätze zwinge;
so licht und hell löst Rätsel sich auf Rätsel,
und klar wird mir der Ursprung aller Dinge.
14
Dass ich verliebt und trunken Jahr und Tag, –
gern trag' ich wahrlich der Entehrung Schmach!
Nur wenn ich nüchtern, fasst mich Welten-Ekel;
doch bei dem Wein – – ha! komme, was da mag.
15
Gurt, Kleid und Seele, alles was mir teuer,
gab ich als Pfand dem Schenken-Ungeheuer.
Nun denn, so bin ich frei von Furcht und Hoffen,
und los von Erde, Wasser, Luft und Feuer.
16
Heut, wo das Herz voll Liebestrunkenheit,
im Freudentempel ganz dem Wein geweiht;
ja, heute, ganz vom eignen Ich gelöst,
fühl’ ich mich schon am Thron der Ewigkeit.
17
Getrost, o Schenke! Soll’s mit uns einst enden,
nicht ich und Du vermögen’s abzuwenden.
So lang’ der Becher zwischen mir und dir, –
verlass dich drauf, – ist Gott in unsren Händen.
18
Er selbst kam gestern, mir den Kelch zu füllen,
zum Schenkenhaus; Er, aller Sehnsucht Stillen.
Verlockend sprach Er: „Trink!“ Ich sagte: „Nein.“
„Trink“, lächelt’ Er, „um meiner Liebe willen!“
19
Den Weg zur Rose hat noch nie gefunden,
wer nicht auch ihres Stachels Schmerz empfunden.
Nie wär’ der Kamm zu Liebchens Haar gelangt,
trüge sein Leib nicht hundert tiefe Wunden.
20
Viel köstlicher als aller Ruhm der Erde
ist’s, einen Trunk aus vollem Glas zu tun;
viel köstlicher und Gott gefälliger
als frommes Plappern ist der Hauch des Glückes,
der leis’ vom Munde der Verliebten weht.
21
Moschee und Kirche lehren überein
vom Paradies und von der Hölle Pein; –
wie kann solch Same in dem Herzen keimen,
das ganz durchdrungen von des Höchsten Sein?
22
Da doch vergänglich dieses Erdensein,
üb’ ich nur List, und leb’ der Lust, dem Wein!
„Dass Gott mir helfe,“ – spricht man – „zu entsagen;“ –
im Gegenteil: Tät er’s, ich sagte: „Nein!“
23
Bald hüllst Du Dich in Schweigen, tief und stumm,
bald öffentlich gehst Du im Schauspiel um,
das Du gemacht, Dir selbst zum Zeitvertreib,
wo Spieler Du zugleich und Publikum.
Die Sinnsprüche Omars des
Zeltmachers, Rubaijat-i-Omar-i-Khajjam. Aus dem Persischen übersetzt von
Friedrich Rosen, Insel Verlag Frankfurt am Main, 1979:
1 [Nr. 146], 5 [Nr. 145], 6 [Nr. 84], 12 [Nr. 134], 19 [Nr. 132]
Sprüche des Omar Chajjam. Aus dem Persischen übertragen von Maximilian
Rudolph Schenck, Verlag Otto Hendel, Halle an der Sale 1897:
2 [Nr. 164], 3 [Nr. 60], 7 [Nr. 409], 9 [Nr. 2], 10 [Nr. 260], 11 [Nr. 45],
13 [Nr. 16], 14 [Nr. 9], 15 [Nr. 19], 16 [Nr. 233], 17 [Nr. 52], 18 [Nr.
329], 21 [Nr. 46], 22 [Nr. 289], 23 [Nr. 443]
Hans Bethge, Omar Khayam, Nachdichtungen, Propyläen Verlag Berlin, 1921:
4 [S. 19], 8 [S. 99], 20 [S. 44]
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