1
Unser Sehnen muss sein:
alle Gefühle zu finden,
die uns befrein.
Tiefer im Ahnen zu werden;
allen weckenden Winden
willige Fahnen zu werden,
die von den Siegern erhoben
auf den Zinnen der Zeiten
oben –
wunderdurchwoben –
Bilder entbreiten.
2
Wie ist das klein, womit wir ringen,
was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen,
uns so vom großen Sturm bezwingen, –
wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine,
und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine
will nicht von uns gebogen sein.
3
Frage an den Gott
Hab ich nicht Recht, dass ich sie langsam
spanne,
eh ich die Vögel meiner Welt
erlege; prüfend erst, von welchem Manne
mein gradestes Gefühl am höchsten schnellt?
Hab ich nicht Recht, wenn ich sie nachts verachte?
Mit ihnen trifft man nur das nahe Tier;
ich aber will, die ich im Gehn betrachte,
die hohen freien Stürme über mir,
den Himmel selbst, wie er auf Schwingen liegt,
will ich durchbohren, wenn ich einmal fühle:
Wo ist der Bogen für so weiten Pfeil?
Solang das Liebe heißt, dass einer siegt
über den andern, geh ich. Teile Kühle
im Gehen mit. Ich werde nicht zuteil.
4
Des Gottes Antwort
Du Prüferin, du nimmst es so genau.
Genauem Beter wird der Gott genauer.
Ich ward ein Gott der Trauer.
Du aber wirst mich, überhelle Frau,
vielleicht erheitern. Wenn du nur bestehst
und, an den doch nicht Brauchbaren vorüber,
in deiner ganzen Strahlung, um nichts trüber,
dem Einzigen entgegengehst.
O reiß zu ihm die Weiten alle mit,
die in dir wehen. Deine Freimut kann es.
Und da soll nichts beschränken deinen Schritt.
Gibt es ihn nicht, so hast du mich geliebt:
den Gott der Liebe, statt des Liebes-Mannes;
denn keine weiß wie du, dass es Mich gibt.
5
Ich sprach von Dir als von dem sehr Verwandten,
zu dem mein Leben hundert Wege weiß,
ich nannte Dich: den alle Kinder kannten,
den alle Saiten überspannten,
für den ich dunkel bin und leis.
Ich nannte Dich den Nächsten meiner Nächte
und meiner Abende Verschwiegenheit, –
und Du bist der, den keiner sich erdächte,
wärst Du nicht ausgedacht seit Ewigkeit.
Und Du bist der, in dem ich nicht geirrt,
den ich betrat wie ein gewohntes Haus.
Jetzt geht Dein Wachsen über mich hinaus:
Du bist der Werdendste, der wird.
6
Denn das ist Schuld, wenn irgendeines
Schuld ist:
die Freiheit eines Lieben nicht vermehren
um alle Freiheit, die man in sich aufbringt.
Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:
einander lassen; denn dass wir uns halten,
das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.
7
Du darfst nicht sagen,
was du heimlich hast,
nicht auf den Lippen darf dein Leben münden, –
du musst nur Blüten tragen
wie ein Ast,
dann werden alle Winde dich verkünden.
8
Lass dich von den Lauten nicht verleiten,
die dir fallen aus dem vollen Wind;
warte wachsam, ob zu deinen Saiten
Hände kommen, welche ewig sind.
9
Siehe, ich wusste es sind
solche, die nie den gemeinsamen Gang
lernten zwischen den Menschen;
sondern der Aufgang in plötzlich
entatmete Himmel
war ihr Erstes. Der Flug
durch der Liebe Jahrtausende
ihr Nächstes, Unendliches.
Eh sie noch lächelten
weinten sie schon vor Freude;
eh sie noch weinten
war die Freude schon ewig.
Frage mich nicht
wie lange sie fühlten; wie lange
sah man sie noch? Denn Unsichtbare sind
unsägliche Himmel
über der inneren Landschaft.
Eines ist Schicksal. Da werden die Menschen
sichtbarer. Stehn wie Türme. Verfalln.
Aber die Liebenden gehn
über der eignen Zerstörung
ewig hervor; denn aus dem Ewigen
ist kein Ausweg. Wer widerruft
Jubel?
10
Der Auferstandene
Er vermochte niemals bis zuletzt
ihr zu weigern oder abzuneinen,
dass sie ihrer Liebe sich berühme;
und sie sank ans Kreuz in dem Kostüme
eines Schmerzes, welches ganz besetzt
war mit ihrer Liebe größten Steinen.
Aber da sie dann, um ihn zu salben,
an das Grab kam, Tränen im Gesicht,
war er auferstanden ihrethalben,
dass er seliger ihr sage: Nicht –
Sie begriff es erst in ihrer Höhle,
wie er ihr, gestärkt durch seinen Tod,
endlich das Erleichternde der Öle
und des Rührens Vorgefühl verbot,
um aus ihr die Liebende zu formen,
die sich nicht mehr zum Geliebten neigt,
weil sie, hingerissen von enormen
Stürmen, seine Stimme übersteigt.
11
Nichts ist vergleichbar. Denn was ist nicht ganz
mit sich allein und was je auszusagen;
wir nennen nichts, wir dürfen nur ertragen
und uns verständigen, dass da ein Glanz
und dort ein Blick vielleicht uns so gestreift
als wäre grade das darin gelebt
was unser Leben ist. Wer widerstrebt
dem wird nicht Welt. Und wer zu viel begreift
dem geht das Ewige vorbei. Zuweilen
in solchen großen Nächten sind wir wie
außer Gefahr, in gleichen leichten Teilen
den Sternen ausgeteilt. Wie drängen sie.
1 Brief an Hugo Salus, 7.
Mai 1899
2 Das Buch der Bilder, Des
zweiten Buches zweiter Teil, Der Schauende
3, 4 Gedichte 1906 bis 1926, Widmungen, An Renée
5 Worpsweder Tagebuch, 4. Oktober 1900
6 Requiem, Für eine Freundin [Paula Modersohn-Becker]
7 Schmargendorfer Tagebuch, 2. Dezember 1899
8 Schmargendorfer Tagebuch, 24. März 1900
9 Gedichte für Lulu Albert-Lazard, VII, 23. September 1914
10 Der neuen Gedichte anderer Teil
11 Nächtlicher Gang, Nachlass, Vollendetes
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