1
Mein König, o mein König wonnenreich!
Bist du mir nahe, und ich fühl’ dich nicht?
Nicht Herz noch Himmel lässt mich so dich schauen,
wie hier mir tagt das Licht.
Doch quillt dein goldner Segen bronnengleich
trotz mir aus meines Ichs tiefschwarzer Schluft
und wächst, wie sich des Morgens Hallen bauen
aus Schimmerduft.
So ist denn nah, mein Fürst, dein Sonnenreich?
2
Starker, der Sonnen hoch in Händen trägt,
der fest die Lichtbahn seines weiten Alls
hinzieht mit goldnen Schritten von Äonen,
der hehr um Haupt und Hals
Sterne als Diadem und Spangen trägt:
Will deine Milde nicht und deine Macht
den steten Hunger meines Mundes lohnen,
der Nacht für Nacht
nach einem Liebeswort Verlangen trägt?
3
In Wolken und in Blumen such’ ich dich,
ich such’ dich in dem aufgepflügten Grund,
ich lausch’ auf dich beim letzten Herzensschlage,
verscheidet mir mein Hund.
In meiner Träume Tiefen such’ ich dich.
Mein Antlitz strahlt in jungem Tagesklar,
wenn ich im Traum von dir ein Zeichen schaute,
wie unscheinbar.
Im Schwarz zwischen den Sternen such’ ich dich.
4
Ihr Diamanten und du Flimmergold,
Schneewolken ihr, du Sphäre von Azur,
ihr Purpurblumen, süße Vogelsänge,
seid ihr nicht Teilchen nur
der Schönheit meines Herrn, nur Schimmer hold?
Die Sinne nun erlabt ihr mir nicht mehr,
nein, müde macht mich euer stumm Gepränge;
zu sehr verlang’
ich Ihn, um den die Nacht noch immer rollt.
5
Ich muss vor dir ganz klein, ganz klein mich machen,
weich wie ein Häslein jung in Menschenhand,
das sich nicht rührt, so überstark behütet,
dann wird beim Weltenbrand
bangere Furcht im Herzen nicht erwachen.
An deiner heil'gen Brust, wo bang es loht,
entgeht mein Licht wohl deinem Sturmesfegen,
und auch der Tod
kann nicht dem Fünkchen nahn, dem stillen, schwachen.
6
Herr, wenn mein Leib den Streit bestand um dich
durch Leid und Lust, und leb’ ich fürder noch,
vermag ich, ohr- und auglos, auszuharren,
da meine Seele doch
noch stets sucht, den sie einst bekannt? O sprich!
Ist kalt mein Leib, mein Feuerwille wird
sich neue Glieder bilden statt der starren,
er sucht und irrt,
bis er erschaut dein lichtes Land um sich.
7
O wunderbare, wunderbare Liebe!
Verspottet wird dein heilig Wort, verlacht,
doch nicht verstören meiner Andacht Lieder
die Milde deiner Macht,
o wunderbare, wunderbare Liebe!
Du warst mir nah, und ferne wähnt’ ich dich,
dein Atem weht, dein Lächeln leuchtet nieder,
nun tränkst du mich,
o wunderbare, wunderbare Liebe!
Frederik van Eeden, Gott und
Mensch. Ein Weihekranz von Dreifaltliedern
Übersetzung: Otto Hauser
Version I: Die niederländische Lyrik von 1875-1900. Eine Studie und
Übersetzungen
Baumert & Ronge, Großenhain 1901
Version II: Frederik van Eeden, Mystische Gesänge, Reihe: Aus fremden
Gärten, 95
Alexander Duncker Verlag, Weimar 1920
Auswahl der Strophen, Reihung, teilweiser Verschnitt der Verse: Andreas
Marschler
Beide Übersetzungen in vollständiger Abschrift, dargestellt in
Vergleichsform
hier.
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