Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Vom Schweigen
Wir begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren
hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in
der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt,
diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es
mir dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.
Wir haben ein Wort des Weisen: »Da alle Dinge mitten in einem Schweigen
waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein
verborgenes Wort.« Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.
»Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes
Wort.« Ach, Herr, wo ist dies Schweigen, und wo ist die Stätte, in der dieses
Wort gesprochen wird?
Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem
Edelsten, in dem Grunde, ja in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel:
Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat
da nicht Wirken noch Verstehen und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst
noch von irgendwelcher Kreatur.
Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles,
was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit
dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt
wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach außen
haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die
Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zu Stande bringen. Und ebenso
ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein
Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk
als die Kräfte, mit denen sie wirkt. Die fließen aus dem Grunde des Wesens, oder
vielmehr: In diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und
eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda
sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne
irgendein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen,
nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand
rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den
Grund der Seele, sie muss in den Kräften außen bleiben. Da mag sie ihr Bild
betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn
jedes Mal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen
und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich.
Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht
näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch,
dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen
Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die
Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was
immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor,
das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen
vereinigen. Aber immer, wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss
es notwendigerweise von außen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele
kein Ding so unbekannt wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne
von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und
gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: Daher
kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur
sich selber nicht. Von keinem Ding weiß sie so wenig wie von sich selbst um des
Mittels willen. Und das müsset ihr auch wissen, dass sie innen frei ist und ohne
alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott
frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht
lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne
alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, umso
unmittelbarer geschieht auch sein Werk und umso einfacher ist es. Der Mensch hat
viele Mittel in seinen äußern Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er
sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und
das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell.
Sobald sie ihren Schein ausgießen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen
Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der
Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim
hat nur noch ein Bild. Alles, was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit
wahrnehmen, nimmt er in einem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch
kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja,
tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam als er selbst mit seinem eigenen
Wesen. Das kann keine Kreatur tun.
Wie gebiert Gottvater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen
tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich nein!, sondern: ganz in der
Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich,
wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gottvater hat eine vollkommene Einsicht in
sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst ohne jedes Bild.
Und so gebiert Gottvater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht,
in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im
Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre
da irgendein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit
liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.
Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe
und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und
hineindenke oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und einer
Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes
Werk in ihm warte?
Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und
vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die
edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren,
dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das
ist, dass du schweigest und Gott allda wirken und sprechen lässest. Wo alle
Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort
gesprochen. Darum sprach er: »Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort
gesprochen.« Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein
Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je
mehr du der Kreatur vergissest, umso näher bist du diesem und umso
empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in
ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er
sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht, Gott aber weiß
es wohl« – da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des
Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die
Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem
Berge fastete und doch nicht schwächer wurde – so sollte der Mensch allen Sinnen
entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller
Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele:
Zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also und verbirg dich vor
dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden.
Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe
sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein
Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis
seiner selbst, denn »gut« oder »wahr« gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle
seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst
nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute
eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es
gleichwohl viel besser: Er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders
verstehen und fassen konnten. Gott hat nicht mehr dazu als das eine: Er wollte,
und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild
bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist und je mehr du in dich
gekehrt und selbstvergessen bist, umso näher bist du diesem.
Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach:
Lieber Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst
hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die
verborgene stille Finsternis, auf dass du zu einer Erkenntnis des unbekannten
übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott
verschmäht es, in Bildern zu wirken.
Nun könntest du fragen: Was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und
im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern
wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen.
Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle
Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das
allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern und bewirkt es, dass sie
diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiß nur nicht, wie und
was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch
der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren, und hat doch immer
einen Jammer, diese Dinge zu wissen, und hat doch kein Dabeibleiben, darum: Die
unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur
Ruhe kommen.
Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem
andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft;
ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht
verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich
alle Wahrheit. Da sprach der andre Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn
könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein
ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir
gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: Würde das in mir vollendet
und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch
kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle
Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, dass es sich ein wenig zeigt und
offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst
berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: »Herr, nimm ihnen ihren Geist,
und gib ihnen dafür deinen Geist.« Das meinte auch die liebende Seele, als sie
sprach: »Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: Als
sie einging, da musste ich hinschwinden.« Das meinte auch Christus, als er
sprach: »Wer etwas um meinetwillen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen,
und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten,
und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.«
Nun könntest du fragen: Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen
Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, dass sie durch die Sinne wahrnimmt und
in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren? Nein! Was weißt du, was für Rangstufen
Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja die noch
verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht
weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den
Grund gekommen, daher musste ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen
unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft
und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die
verstanden nie das Mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es
schon ein Unwissen heißt und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich
drinnen als alles Wissen und Erkennen von außen: Denn dies Unwissen des Äußern
reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte
Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und
Mutter lässt und alles, was äußerlich ist, der ist meiner nicht würdig.« Als ob
er spräche: Wer nicht alle Äußerlichkeit der Kreaturen lässt, der kann in diese
göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja wenn du dich deines
Selbst beraubst und alles dessen, was äußerlich ist, dann findest du es in
Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neugeboren ist in
Menschengestalt, dass wir arme Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu
verhelfe er uns ewiglich. Amen.
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