Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
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Von Gott und Mensch
Praedica verbum. Man liest das Wörtlein von meinem Herrn Sankt Dominicus,
und Sankt Paulus schreibt es, und es heißt zu Deutsch also: »Sprich es heraus,
sprich es hervor, bring es hervor, und gebier das Wort.« Es ist eine wunderliche
Sache, dass ein Ding ausfließt und doch innen bleibt. Dass das Wort ausfließt
und doch innen bleibt, das ist gar wunderbar; dass alle Kreaturen ausfließen und
doch innen bleiben, das ist gar wunderbar; dass Gott gegeben hat und dass Gott
gelobt hat zu geben, das ist gar wunderbar und ist unbegreiflich und
unglaublich. Und das ist recht, und wäre es begreiflich und glaublich, so wäre
es nicht recht. Gott ist in allen Dingen. Je mehr er in den Dingen ist, je mehr
ist er aus den Dingen; je mehr er innen, je mehr er außen ist. Ich habe es schon
öfters gesagt, dass Gott all diese Welt jetzt ganz und gar erschafft. Alles, was
Gott je vor sechstausend Jahren und mehr schuf, als Gott die Welt machte, das
schafft Gott jetzt zumal. Gott ist in allen Dingen, aber insofern Gott göttlich
ist und insofern Gott vernünftig ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der
Seele [und in dem Engel, wenn du willst], in dem Innersten der Seele und in dem
Höchsten der Seele. Wo die Zeit nie hinkam, wo nie ein Bild hineinleuchtete, im
Innersten und im Höchsten der Seele erschafft Gott die ganze Welt. Alles, was
vergangen ist, und alles, was künftig ist, das schafft Gott im Innersten der
Seele.
Der Prophet spricht: »Gott sprach eines und ich hörte zwei.« Das
ist wahr: Gott sprach nie mehr als eines. In diesem Spruch spricht er seinen
Sohn und den heiligen Geist und alle Kreaturen, und es ist nichts als ein Spruch
in Gott. Aber der Prophet spricht: »ich hörte zwei.« Das heißt: Ich nahm Gott
und Kreatur wahr. Wo es Gott spricht, da ist es Gott; aber hier ist es Kreatur.
Die Leute glauben, Gott sei da und da Mensch geworden. Dem ist nicht so, denn
Gott ist hier ebenso gut Mensch geworden wie dort, und um und um ist er Mensch
geworden, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre, nicht weniger und
nicht mehr.
Ich sprach gestern ein Wörtlein, das steht im Paternoster und
heißt: »Dein Wille werde.« Es wäre sogar besser ausgedrückt, dass sein Wille
werde, als dass ich sage: Mein Wille werde zu seinem. Dass ich es werde, das
meint das Paternoster. Das Wort hat zweierlei Sinn. Erstens: Sei für alle Dinge
ein Schlafender, das heißt, du sollst weder um Zeit noch um Kreaturen noch um
Bilder wissen. Die Meister sagen: Wenn ein Mensch recht schliefe, und schliefe
er hundert Jahre, er wüsste um keine Kreatur, er wüsste nichts von Zeit noch von
Bild; und dennoch kannst du wahrnehmen, dass Gott in dir wirkt. Darum spricht
die Seele im Buch der Liebe: »Ich schlafe und mein Herr wacht.« Darum kannst du,
wenn alle Kreaturen in dir schlafen, wahrnehmen, was Gott in dir wirkt.
Er spricht zweitens ein Wort: Arbeite in allen Dingen; das hat
dreierlei Sinn in sich. Es heißt so viel wie: Schaff deinen Nutzen in allen
Dingen, denn Gott ist in allen Dingen. Sankt Augustin spricht: Gott hat alle
Dinge erschaffen, nicht dass er sie werden ließe und dann seines Weges ginge,
sondern er ist in ihnen geblieben. Die Leute wähnen, sie hätten mehr, wenn sie
die Dinge mit Gott haben, als wenn sie Gott ohne die Dinge hätten. Aber das ist
falsch, denn alle Dinge mit Gott ist nicht mehr als Gott allein, und wer glaubt,
wenn er den Sohn und den Vater zugleich hätte, hätte er mehr, als wenn er den
Sohn ohne den Vater hätte, der wäre im Irrtum. Darum nimm Gott in allen Dingen,
und das ist ein Zeichen, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn geboren hat,
nicht weniger und nicht mehr.
Der zweite Sinn ist: Schaff deinen Nutzen in allen Dingen, das
heißt: Liebe Gott über allen Dingen und deinen Nächsten wie dich selbst. Und
liebst du hundert Pfund mehr bei dir als bei einem andern, das ist unrecht. Hast
du einen Menschen lieber als einen andern, das ist unrecht; und hast du deinen
Vater und deine Mutter und dich selbst lieber als einen andern, es ist unrecht;
und hast du die Seligkeit lieber in dir als in einem andern, so ist es unrecht.
»Gott schütze! Was sagt ihr? Soll ich die Seligkeit nicht in mir lieber haben
als in einem anderen?« Es gibt viele Gelehrte, die das nicht begreifen, und es
dünkt sie gar schwer. Aber es ist nicht schwer, es ist ganz leicht. Ich will dir
zeigen, dass es nicht schwer ist. Seht, die Natur hat zweierlei Absicht, was
jedes Glied am Menschen wirken soll. Die erste Absicht, die seine Werke ins Auge
fasst, ist, dass es dem Körper vor allem diene und danach einem jeden Gliede
genau so wie sich selbst, und nicht weniger als sich selbst, und es betrachtet
sich selbst nicht mehr in seinen Werken als ein anderes Glied. Es soll vielmehr
hilfreich sein. Gott soll eine Regel deiner Liebe sein. Die zweite Meinung:
Deine Liebe soll nur an Gott hängen, und darum liebe deinen Nächsten wie dich
selbst und nicht minder als dich selbst. Liebst du die Seligkeit in Sankt Peter
und in Sankt Paul wie in dir selbst, so besitzest du dieselbe Seligkeit, die
auch sie haben.
Also das Wort: Schaff deinen Nutzen in allen Dingen, das heißt:
Liebe Gott ebenso gern in Armut wie in Reichtum, und habe ihn so lieb in der
Krankheit wie in der Gesundheit, habe ihn so lieb in Prüfungen und so lieb in
Leiden wie ohne Leiden. Ja, je größere Leiden, je geringere Leiden, wie zwei
Eimer: je schwerer einer, je leichter der andere, und je mehr der Mensch gibt,
umso leichter ist ihm zu geben. Einem Menschen, der Gott liebt, wäre ebenso
leicht alle Welt zu schenken wie ein Ei. Je mehr er gibt, je leichter ist ihm
zu geben, wie die Apostel: Je schwerere Leiden sie hatten, je leichter litten
sie es.
Das dritte: Arbeite in allen Dingen, das heißt: Wo du dich in
mannigfaltigen Dingen befindest und anders als in einem bloßen reinen einfachen
Wesen, das lass dir eine Arbeit sein; das heißt: Arbeit in allen Dingen füllet
deinen Dienst. Das heißt so viel wie: Heb auf dein Haupt. Das hat zweierlei
Sinn. Der erste ist: Leg ab alles, was dein ist, und gib dich Gott zu eigen; so
wird Gott dein eigen, wie er sein selbst eigen ist, und er ist dir Gott, wie er
sich selbst Gott ist, und nicht weniger. Was mein ist, das habe ich von niemand.
Habe ich es aber von einem andern, so ist es nicht mein, sondern des anderen,
von dem ich es habe. Der zweite Sinn ist: Heb auf dein Haupt, das heißt: Richte
alle deine Werke auf Gott. Es sind viele Leute, die das nicht begreifen, und das
dünkt mich nicht wunderbar: Denn der Mensch, der dies begreifen soll, der muss
sehr abgeschieden sein und erhoben über alle diese Dinge. Dass wir zu dieser
Vollkommenheit kommen, das walte Gott. Amen.
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