Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
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Von der Armut
Die Seligkeit tat ihren Mund der Weisheit auf und sprach: »Selig sind die
Armen des Geistes, das Himmelreich ist ihrer.« Alle Engel und alle Heiligen und
alles, was je geboren ward, muss schweigen, wenn diese ewige Weisheit des Vaters
spricht; denn alle Weisheit der Engel und aller Kreaturen ist lauter nichts vor
der Weisheit Gottes, die grundlos ist. Diese Weisheit hat gesagt, dass die Armen
selig seien. Nun gibt es zweierlei Armut. Die eine ist eine äußerliche Armut und
die ist gut und ist sehr an dem Menschen zu loben, der es mit Willen tut unserem
Herrn Jesus Christus zulieb, weil er sie selber auf Erden geübt hat. Von dieser
Armut will ich nichts weiter sagen. Aber es gibt noch eine andere Armut, eine
inwendige Armut, von der dies Wort unseres Herrn zu verstehen ist, das er sagt:
»Selig sind die Armen des Geistes oder an Geist.«
Nun bitte ich euch, ihr möchtet so sein, dass ihr diese Rede
versteht, denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit: Wenn ihr der Wahrheit, von
der wir jetzt reden, nicht gewachsen seid, so könnt ihr mich nicht verstehen.
Etliche Leute haben mich gefragt, was Armut sei? Darauf wollen wir antworten.
Bischof Albrecht sagt, der sei ein armer Mensch, dem alle Dinge,
die Gott je schuf, nicht Genüge tun, und das ist gut gesagt. Aber wir sagen es
noch besser und nehmen Armut in einem höheren Sinne. Das ist ein armer Mensch,
der nichts will und nichts weiß und nichts hat. Von diesen drei Punkten will ich
sprechen.
Zum Ersten also heißt der ein armer Mensch, der nichts will. Diesen
Sinn verstehen etliche Leute nicht recht; das sind die Leute, die peinlich an Pönitenzien und äußerlichen Bußübungen festhalten [dass die Leute in großem
Ansehen stehen, das erbarme Gott!], und sie erkennen doch so wenig von der
göttlichen Wahrheit. Diese Menschen heißen heilig nach dem äußeren Ansehen, aber
von innen sind sie Esel, denn sie verstehen es nicht, die göttliche Wahrheit zu
unterscheiden. Diese Menschen sagen, der sei ein armer Mensch, der nichts will.
Das deuten sie so, der Mensch solle so sein, dass er an keinen Dingen seinen
Willen mehr erfülle, vielmehr danach trachten solle, dem allerliebsten Willen
Gottes zu folgen. Diese Menschen sind nicht übel daran, denn ihre Absicht ist
gut; darum sollen wir sie loben; Gott und seine Barmherzigkeit erhalte sie. Aber
ich sage mit guter Wahrheit, dass sie keine armen Menschen und nicht armen
Menschen gleichzustellen sind. Sie sind in der Leute Augen groß geachtet, die
sich auf nichts Besseres verstehen. Doch sage ich, dass sie Esel sind, die von
göttlicher Wahrheit nichts verstehen. Mit ihren guten Absichten können sie
vielleicht das Himmelreich erlangen, aber von dieser Armut, von der ich jetzt
künden will, von der wissen sie nichts.
Wenn mich nun einer fragt, was denn ein armer Mensch sei, der
nichts will, so antworte ich und spreche so: Solange der Mensch das hat, was in
seinem Willen ist, und solange sein Wille ist, den allerliebsten Willen Gottes
zu erfüllen, der Mensch hat nicht die Armut, von der wir sprechen wollen, denn
dieser Mensch hat einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genug tun will, und
das ist nicht das Rechte. Denn will der Mensch wirklich arm sein, so soll er
seines geschaffenen Willens so entledigt sein, wie er war, als er nicht war. Und
ich sage euch bei der ewigen Wahrheit, solange ihr den Willen habt, den Willen
Gottes zu erfüllen, und irgend nach der Ewigkeit und nach Gott begehret, so
lange seid ihr nicht richtig arm; denn das ist ein armer Mensch, der nichts will
und nichts erkennt und nichts begehrt.
Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott
und gehörte mir selbst; ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein
bloßes Sein und ein Erkenner meiner selbst und wollte kein anderes Ding; was ich
wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich, und hier stand ich ledig
Gottes und aller Dinge. Aber als ich aus meinem freien Willen hinausging und
mein geschaffenes Wesen empfing, da bekam ich einen Gott; denn als keine
Kreaturen waren, da war Gott nicht Gott; er war, was er war. Als die Kreaturen
wurden und ihr geschaffenes Wesen anfingen, da war Gott nicht in sich selbst
Gott, sondern in den Kreaturen war er Gott. Nun sagen wir, dass Gott danach,
dass er Gott ist, nicht ein vollendetes Ziel der Kreatur ist und nicht so große
Fülle als die geringste Kreatur in Gott hat. Und gäbe es das, dass eine Fliege
Vernunft hätte und vernünftig den ewigen Abgrund göttlichen Wesens, aus dem sie
gekommen ist, suchen könnte, so sagen wir, dass Gott mit alledem, was Gott ist,
die Fliege nicht ausfüllen und ihr nicht genug tun könnte. Deshalb bitten wir
darum, dass wir Gottes entledigt werden und die Wahrheit vernehmen und der
Ewigkeit teilhaft werden, wo die obersten Engel und die Seelen in gleicher Weise
in dem sind, wo ich stand und wollte, was ich war, und war, was ich wollte. So
soll der Mensch arm sein des Willens und so wenig wollen und begehren, wie er
wollte und begehrte, als er nicht war. Und in dieser Weise ist der Mensch arm,
der nichts will.
Zum Zweiten ist der ein armer Mensch, der nichts weiß. Wir haben
manchmal gesagt, der Mensch sollte so leben, als ob er nicht lebte, weder sich
selbst noch der Wahrheit noch Gott. Aber jetzt sagen wir es anders und wollen
ferner sagen, dass der Mensch, der diese Armut haben soll, alles haben soll, was
er war, als er nicht lebte, in keiner Weise lebte, weder sich noch der Wahrheit
noch Gott, er soll vielmehr alles Wissens so quitt und ledig sein, dass selbst
nicht Erkennen Gottes in ihm lebendig ist; denn als der Mensch in der ewigen Art
Gottes stand, da lebte in ihm nichts anderes: Was da lebte, das war er selbst.
Daher sagen wir, dass der Mensch so seines eigenen Wissens entledigt sein soll,
wie er war, als er nicht war, und Gott wirken lasse, was er wolle, und frei
dastehe, als wie er von Gott kam.
Nun ist die Frage, wovon allermeist die Seelheit abhänge. Etliche
Meister haben gesagt, es komme auf das Begehren an. Andere sagen, es komme auf
Erkenntnis und Begehren an. Aber wir sagen, sie hänge nicht von der Erkenntnis
noch von dem Begehren ab, sondern es ist ein Etwas in der Seele, aus dem fließt
Erkenntnis und Begehren, das erkennt selbst nicht und begehrt nicht so wie die
Kräfte der Seele. Wer dies erkennt, der erkennt, wovon die Seelheit abhänge.
Dies Etwas hat weder vor noch nach, und es wartet nicht auf etwas
Hinzukommendes, denn es kann weder gewinnen noch verlieren. Darum ist ihm
jegliche Möglichkeit ganz und gar benommen, in sich zu wirken, es ist vielmehr
immer dasselbe Selbe, das sich selbst in der Weise Gottes verzehrt. So, meine
ich, soll der Mensch quitt und ledig dastehen, dass er nicht weiß noch erkennt,
was Gott in ihm wirkt, und da kann der Mensch Armut sein Eigen nennen. Die
Meister sagen, Gott sei Wesen, und zwar ein vernünftiges Wesen, und erkenne alle
Dinge. Aber ich sage: Gott ist weder Wesen noch Vernunft, noch erkennt er etwas,
nicht dies und nicht das. Darum ist Gott aller Dinge entledigt, und darum ist er
alle Dinge. Wer nun des Geistes arm sein will, der muss alles seinen eigenen
Wissens arm sein, als einer, der nichts weiß und kein Ding, weder Gott noch
Kreatur, noch sich selbst. Dagegen ist es nicht so, dass der Mensch begehren
solle, den Weg Gottes zu wissen oder zu erkennen. In der Weise, wie ich gesagt
habe, kann der Mensch arm sein seines eigenen Wissens.
Zum Dritten ist der ein armer Mensch, der nichts hat. Viele
Menschen haben gesagt, das sei Vollkommenheit, dass man nichts von den
leiblichen Dingen dieser Erde hat, und das ist in einem gewissen Sinne schon
wahr, wenn einer es mit Willen tut. Aber dies ist nicht der Sinn, den ich meine.
Ich habe vorhin gesagt, der sei ein armer Mensch, der nicht den Willen Gottes
erfüllen will, sondern so leben will, dass er seines eigenen Willens und des
Willens Gottes so entledigt sei, wie er war, als er nicht war. Von dieser Armut
sagen wir, dass sie die ursprünglichste Armut sei. Zweitens sagen wir, das sei
ein armer Mensch, der die Werke Gottes in sich selber nicht kennt. Wer so des
Wissens und Erkennens ledig steht, wie Gott aller Dinge ledig steht, das ist die
offenbarste Armut. Aber die dritte Armut, von der ich sprechen will, das ist die
tiefste, nämlich dass der Mensch nichts hat.
Nun gebt ernstlich Acht: Ich habe oft gesagt – und es sagen es auch
große Meister –, der Mensch solle aller Dinge und aller Werke, sowohl innerlich
wie äußerlich, so entledigt sein, dass er eine Eigenstätte Gottes sein könne,
worin Gott wirken könne. Jetzt aber künden wir es anders: Steht die Sache so,
dass der Mensch aller Dinge ledig steht, aller Kreaturen und seiner selbst und
Gottes, und ist es noch so in ihm bestellt, dass Gott eine Stätte in ihm zu
wirken findet, so sagen wir: Solange das in dem Menschen ist, ist der Mensch
nicht arm in der tiefsten Armut, denn Gott ist nicht der Meinung mit seinen
Werken, der Mensch solle eine Stätte in sich haben, worin Gott wirken könne,
sondern das ist eine Armut des Geistes, dass der Mensch Gottes und aller seiner
Werke so ledig steht, dass Gott, wenn er in der Seele wirken will, selbst die
Stätte sei, worin er wirken will, und das tut er gerne. Denn findet Gott den
Menschen so arm, so ist Gott sein eigenes Werk empfangend und ist eine
Eigenstätte seiner Werke damit, dass Gott ein Wirken in sich selbst ist. Allhier
erlangt der Mensch in dieser Armut das ewige Wesen, das er gewesen ist und das
er jetzt ist und das er in Ewigkeit leben soll.
Daher sagen wir, dass der Mensch arm dastehen soll, dass er kein
Raum sein und keinen haben soll, worin Gott wirken könne. Wenn der Mensch einen
Raum behält, dann behält er Unterschiedenheit. Darum bitte ich Gott, dass er
mich Gottes quitt mache, denn unwesenhaftes Wesen und Sein ohne Dasein ist über
Gott und über Unterschiedenheit; da war ich selbst, da wollte ich mich selbst
und erkannte mich selbst diesen Menschen machend, und darum bin ich Ursache
meiner selbst nach meinem Wesen, das ewig ist, und nach meinem Wesen, das
zeitlich ist. Und darum bin ich geboren und kann nach der Weise meiner Geburt,
die ewig ist, niemals ersterben. Nach der Weise meiner ewigen Geburt bin ich
ewiglich gewesen und bin jetzt und soll ewiglich bleiben. Was ich nach der Zeit
bin, das soll sterben und soll zunichte werden, denn es ist des Tages; darum
muss es mit der Zeit verderben. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und
ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge, und wollte ich, so wäre ich nicht
noch alle Dinge, und wäre ich nicht, so wäre Gott nicht. Es ist nicht nötig,
dies zu verstehen.
Ein großer Meister sagt, sein Münden stünde höher als sein
Entspringen. Als ich aus Gott entsprang, da sprachen alle Dinge: Gott ist da.
Nun kann mich das nicht selig machen, denn hier erkenne ich als Kreatur; dagegen
in dem Münden, wo ich ledig stehen will im Willen Gottes und ledig stehen des
Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selbst, da bin ich über allen
Kreaturen und bin weder Gott noch Kreatur, sondern ich bin, was ich war und was
ich bleiben soll jetzt und immerdar. Da erhalte ich einen Ruck, der mich über
alle Engel schwingen soll. Von diesem Ruck empfange ich so reiche Fülle, dass
mir Gott nicht genug sein kann mit alledem, was er Gott ist, mit all seinen
göttlichen Werken, denn mir wird in diesem Münden zuteil, dass ich und Gott eins
sind. Da bin ich, was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin
da eine unbewegliche Ur-Sache, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine
Stätte im Menschen, denn der Mensch erlangt mit seiner Armut, dass er ewiglich
gewesen ist und immer bleiben soll. Allhier ist Gott im Geist eins, und das ist
die tiefste Armut, die man finden kann.
Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit.
Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, solange wird er diese
Rede nicht verstehen, denn es ist eine Wahrheit, die nicht ausgedacht ist,
sondern unmittelbar gekommen aus dem Herzen Gottes. Dass wir so leben mögen,
dass wir es ewig empfinden, das walte Gott. Amen.
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