Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
Vom Schweigen
Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
Von der Stadt der Seele
Vom namenlosen Gott
Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
Von unsagbaren Dingen
Vom Leiden Gottes
Von der Einheit der Dinge
Wie Jesus an dem Stricke zog
Von der Erkenntnis Gottes
Von der Armut
Von Gott und der Welt
Von der Erneuerung des Geistes
Von der Natur
Von Gott und Mensch
Vom Tod
Was ist Gott?
Vom persönlichen Wesen
Traktate
Von den Stufen der Seele
Gespräch zwischen Schwester
Kathrei und dem Beichtvater
Von der Abgeschiedenheit
Von der Überfreude
Die Seele auf der Suche nach Gott
Von der Überfahrt zur Gottheit
Vom Zorn der Seele
Fragmente und Sprüche
Fragmente
Sprüche
PDF-Dokument
Startseite | Navigation
|
Von der Überfahrt zur Gottheit
Wie die Sonne scheint, so sieht das Auge; dann ist das Auge in der Sonne
und die Sonne im Auge. Wohlauf, mein Freund, nun merke, was ich meine, denn ich
traue mich kaum, meine Meinung zu schreiben oder zu reden, weil in den Personen
die göttliche Natur ein Spiegel ist, wohin nie Sprache kommt. Soweit sich die
Seele über die Sprache erheben kann, soweit macht sie sich dem Spiegel gleich.
In dem Spiegel sammelt sich nur Gleiches.
Als ich, Herr, in dir war, da war ich unbedürftig in meinem Nichts,
und dein Angesicht, dass du mich ansahst, das machte mich bedürftig. Wenn das
ein Tod ist, dass die Seele von Gott scheidet, so ist auch das ein Tod, dass sie
aus Gott geflossen ist, denn jede Bewegung ist Sterben. Daher sterben wir von
Zeit zu Zeit, und die Seele stirbt allsterbend in dem Wunder der Gottheit, da
sie göttliche Natur nicht erfassen kann. In dem Nichts stürzt sie hinüber und
wird zunichte. In diesem Nichtsein wird sie begraben, und mit Unerkenntnis wird
sie vereint in den Unbekannten, und mit Ungedanken wird sie vereint in den
Ungedachten, und mit Unliebe wird sie vereint in den Ungeliebten. Was der Tod
erfasst, das kann ihm niemand mehr nehmen: Er scheidet das Leben vom Körper und
scheidet die Seele von Gott und wirft sie in die Gottheit und begräbt sie in
ihr, sodass sie allen Kreaturen unbekannt ist. Da wird sie als Verwandelte im
Grab vergessen, und sie wird unbegreiflich allen Begreifern. Wie Gott
unbegreiflich ist, so unbegreiflich wird sie. So wenig man die Toten begreifen
kann, die hier vom Körper sterben, so wenig kann man die Toten begreifen, die in
der Gottheit tot sind. Diesen Tod sucht die Seele ewiglich. Wenn die Seele in
den drei Personen getötet wird, dann verliert sie ihr Nichts und wird in die
Gottheit geworfen. Da findet sie das Antlitz ihres Nichts. Darüber spricht unser
Herr: »Meine Unbefleckte, du bist gar schön«, und von der Unbegreiflichkeit
seiner Schönheit spricht sie: »Du bist noch schöner.« Da blickt sie in die
geheimen Künste Gottes, dass Gott wunderbarerweise das Nichts bedürftig gemacht
hat, und es hat ihm doch nichts geschadet. Sankt Dionysius sagt: Das ist kein
Wunder, dass Gott die Seelen mit seinem Angesicht bedürftig gemacht hat, wo doch
die Sonne ohne weiteres den Maden und den Würmern im faulen Holze Leben gibt. So
sieht die Seele Gottes Größe an und ihre Kleinheit und wirft sich aus dem Herzen
Gottes und aus allen Kreaturen und bleibt bei ihrem bloßen Nichts, und die
göttliche Kraft enthält sie in ihrem Wesen. Sankt Dionysius sagt: Alle Dinge
stehen nach dem Gebot Gottes auf Nichts. Und wieder sagt er: Der Blick, der aus
Gott in die Seele geht, ist ein Beginn des Glaubens, dass ich glaube, was mir
nie offenbart ward. So weit als sich die Seele mit dem Glauben in das unbekannte
Gut versenken kann, so weit wird sie eins mit dem unbekannten Gut und wird sich
selbst und allen Kreaturen unbekannt. Sie weiß wohl, dass sie ist; aber sie weiß
nicht, was sie ist. Wenn sie alles das erkennt, was zu erkennen ist, erst dann
kommt sie hinüber in das unbekannte Gut. Diese Überfahrt ist manchen Erkennern
verborgen. Die Seele ist ihrer Natur nach dergestalt: Wo sie nirgends ist, da
ist sie ganz und gar, in jedem Glied ist sie ganz und gar, und das kommt daher:
Wo irgend Natur ist, da ist sie ganz und gar. Darum ist die Gottheit an allen
Orten und in allen Kreaturen und in jeder ganz und gar.
Die ungenaturte Natur naturt nur insoweit, als sie sich naturen
lässt. Sonst naturt sie nicht, der Vater naturt seinen Sohn in der genaturten
Natur, und doch ist der Vater der ungenaturten Natur so nahe wie der genaturten
Natur, denn sie ist eins mit ihm. Der Vater ist in der ungenaturten Natur allein
und auch der Erste in der genaturten Natur. Und in der genaturten Natur ist der
Sohn mit dem Vater naturend, und der Sohn naturt den heiligen Geist, und der
heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohne in der genaturten Natur, und er
naturt nicht. In der ungenaturten Natur sind sie eins, und die genaturte Natur
unterscheidet die Personen, und die Personen sind so ewig in ihren Personen, wie
die ungenaturte Natur in ihrer Natur ist, und die genaturte Natur ist so ewig an
sich wie die ungenaturte Natur, und dies ist nichts als ein Gott und drei
Personen, die Naturen die Kreatur, jede in ihrer Natur, und geben ihnen Kraft
und Werk, wie es ihnen am besten bekommt. Eine jede Kreatur hat ihre Natur so
lieb, dass sie keine andere haben wollte. Ein Meister spricht: Könnte Gott von
Reue ergriffen werden, so reute ihn, dass er nicht allen Kreaturen göttliche
Natur geben konnte.
Gott ist an sich selbst ein einfaches Gut und ungeteilt. Alle
Namen, die die Seele Gott gibt, nimmt sie aus sich selbst. Er ist dreifaltig und
doch eins und allen Kreaturen gemein, und er ist den verbrannten Geistern und
denen, die im Brande erloschen und in ihm zunichte geworden sind, eine einfache
Substanz.
Selig ist die Seele, die sich hinüberschwingt, um alle Dinge in der
bloßen Gottheit zu empfangen. Die Seele soll begraben werden im Angesichte
Gottes, sie soll in den Himmel gezogen werden, wo die drei Personen in der
Einheit ihrer Natur darin wohnen. Das ist die verborgene Gottheit, über die man
nicht sprechen kann. Selig sind, die die Überfahrt machen: Denen werden alle
Dinge, die doch allen Kreaturen unbekannt sind, in der Wahrheit bekannt.
Die Kreatur hat einen Eingang in Gott, woran ihr Wesen liegt, und
sie wirkt in der Kraft, die sie bewegt, von Nichts zu Etwas zu kommen. Nun sagt
Sankt Paulus und auch Sankt Augustin: »Wie ist mir geschehen, dass ich von
Nichts zu Etwas geworden bin, und von einem Wurme Gott und von einer Kreatur
Schöpfer?«
Die Seele soll so in Gott vereint sein, dass es ihr vorkommt, es
sei nichts mehr als Gott allein und Gott schaffe nie mehr eine Kreatur als sie
allein. Die Seele, die diese Überfahrt tut, die kommt in eine Ruhe aller Dinge.
Sie ist Gott, wie er an sich selbst ist. Darüber spricht Christus selbst: »Ich
bin euch Mensch gewesen, und wenn ihr mir nicht Gott seid, so tut ihr mir
unrecht.« Gott ist Mensch geworden, damit wir Gott werden. Gott war mit
göttlicher Natur in der menschlichen Natur verborgen, sodass man da nichts
erkannte als einen Menschen. So soll sich die Seele in göttlicher Natur
verbergen, sodass man an ihr nur Gott erkennen kann. Gott ist nicht Natur, wie
die Kreatur ist, die das an sich hat, was eine andere nicht hat. Wer ein Bäcker
und auch ein Brauer wäre, von dem könnte man nicht sagen, er sei allein ein
Brauer, weil er auch ein Bäcker wäre. So ist Gott aller Naturen Natur, weil er
aller Naturen Natur unzerstückt in sich hat. Er ist Licht aller Lichter, er ist
Leben der Lebenden, er ist Wesen der Wesenden, er ist Sprache der Sprechenden.
Darum ist er aller Naturen Natur. Darüber sagt Sankt Dionysius: Er kann deshalb
nicht eine Natur heißen, weil er einfach ist und nichts seinesgleichen ist. Und
ferner sagt er: Man kann Gott nur mit Unerkenntnis erkennen. Wenn Gott in die
Seele kommt, so kommt er mit allen Dingen in sie. Allein wenn Gott die Dinge
einfach in sich hat, so hat sie die Seele doch sprachlich mit Unterscheidung:
Teufel und Engel und alle Dinge.
So hat die Seele das Vermögen, alle Dinge in Gott zu empfangen, und
sie erkennt, was Gott in ihnen ist und was sie in Gott sind, und sie schwingt
sich auf in die Einfachheit über alle Dinge in die Unerkenntnis. Darüber sagt
Sankt Dionysius, das sei Herrschaft, dass man über niedere Dinge hinwegsteige
und über die, die daneben sind, und sie in die höchsten bringe. Darüber spricht
Christus: »Die mir folgen, die will ich dahin bringen, wo ich bin.« Der Vater
spricht sich in dem Sohn in die Seele. Denn der Sohn, das Wort, ist des Vaters,
so offenbart der Vater sich der Seele in dem Worte, weil er in seiner göttlichen
Natur keine Gestaltung hat. Und ebenso spricht sich die Seele in demselben Worte
in den Vater zurück, weil sie keine Gestaltung hat in ihrem Nichts, darum lässt
sie ihr Etwas im Worte und wirft sich ungestaltet in den Ungestalteten. Die
Gottheit ist ein nacktes einfaches Ding, das aller Dinge Kraft in sich hat über
den Personen, und sie kann sich niemandem hingeben und niemand kann sie völlig
so empfangen, dass sie allein in ihm bestehe. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die
Gottheit hat alle Dinge. Darum sind die drei Personen in der Gottheit, die die
Gottheit offenbaren, jede von ihnen der anderen und der Kreatur insoweit, als
sie davon empfangen kann. Der Vater offenbart sich die Gottheit selbst und
offenbart sie seinem Sohn, und der Vater und der Sohn offenbaren sie dem
heiligen Geist, und die drei Personen offenbaren sie den Kreaturen, und die
Gottheit spielt mit der Sprache und vor der Sprache und über der Sprache, und
die Sprache kann sie nicht erfassen. Und wären nicht die drei Personen mit ihrer
Unterschiedenheit in der Gottheit, so wäre die Gottheit nie offenbart worden und
sie hätte nie Kreaturen geschaffen. Darum sind die ewigen Werke eine Ursache der
Kreatur. Die Offenbarung nimmt die Gottheit von den Dingen, die niedriger sind
als sie. Die allergrößte Vollkommenheit an den Kreaturen ist mangelhaft. So
geschieht es manchmal, dass der Mond sich vor die Sonne stellt und den
Sonnenschein ganz und gar empfängt; man sagt dann, die Sonne sei verschwunden.
So ist ein Stern, der wirft seine Kraft in den Mond und entzieht ihn der Sonne;
die Sonne nimmt dann von den Dingen, die unter ihr sind, ihr Licht.
Wenn so die Seele in das reine Wesen der Gottheit kommt, so erkennt
sie alle Dinge bis auf die niedrigsten Kreaturen; so leuchtet sie sich selbst
und alle Dinge in ihr und erkennt in der Gottheit göttliche Natur, und in dem
Unterschied der Personen verliert sie ihren Namen, und die drei Personen
verlieren ihren Namen in der Einheit, und alles, was die Einheit umfassen kann,
verliert seinen Namen darin. Dann sinkt die Seele niederwärts dahin, und alles
soll dem Nichts der Gottheit sich nähern, und die Kräfte sollen mitkommen.
Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte geworden. Damit meint
er, dass die Seele mit ihrem nackten Wesen den Kräften entgangen ist. Dann haben
die Kräfte die Gottheit verloren und auch ihr bloßes Wesen der Gottheit in den
Personen und in den Kräften, und die Kräfte haben ein Nachfolgen in das Wesen,
und sie widerstehen dem Sträuben der Dreieinigkeit. Da verliert die Liebe ihren
Namen und alle Dinge im Nichts der Gottheit, da ist die Seele in ihr Etwas hineingeflossen. Im Nichts der Gottheit hat der Vater seine Vollkommenheit und
die drei Personen ihre Einheit; und sie geben allen Kreaturen ihre
Vollkommenheit in ihr geschaffenes Etwas, und die Seele fließt in ihrem Etwas im
Nichts der Gottheit durch alle Dinge, und sie berührt sie doch nicht im Etwas
ihres Wesens. Darüber sagt Sankt Dionysius, dass die Seele nicht berührt werde
an ihrem Nichts im Nichts der Gottheit und dass die Seele auch die Gottheit
nicht an ihrem Nichts berühre. Da ist sie so groß, ... dass sie gleich ihm in
einem Lichte fließt. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte
geworden, weil die Kräfte der Seele sie nicht erfassen können.
|