Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Ein Zweites vom namenlosen Gott
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Was ist Gott?
Was ist Gott, und was ist der Tempel Gottes? Vierundzwanzig Meister kamen
zusammen und wollten sagen, was Gott sei, und konnten es nicht. Hernach kamen
sie zu geeigneter Zeit wieder, und jeder von ihnen brachte seinen Spruch mit,
von denen nehme ich jetzt zwei oder drei. Der eine sprach: Gott ist etwas, gegen
den alle wandelbaren und zeitlichen Dinge nichts sind, und alles, was Wesen hat,
ist von ihm und ist gegen ihn klein. Der Zweite sprach: Gott ist etwas, das da
über Wesen ist und das in sich selbst niemandes bedarf und dessen alle Dinge
bedürfen. Der Dritte sprach: Gott ist eine Vernünftigkeit, die sich selbst
erkennen will.
Ich lasse das Erste und das Dritte und spreche von dem Zweiten,
dass Gott etwas ist, das notwendig über Wesen sein muss. Was Wesen hat, Zeit
oder Raum, das gehört nicht zu Gott, er ist über dasselbe; was er in allen
Kreaturen ist, das ist er doch darüber; was da in vielen Dingen eins ist, das
muss notwendig über den Dingen sein. Einige Meister wollten, die Seele wäre
allein im Herzen. Dem ist nicht so, und darin haben große Meister geirrt. Die
Seele ist ebenso gut ganz und ungeteilt im Fuß und im Auge. Nehme ich ein Stück
von der Zeit, so ist es weder der Tag heute noch der Tag gestern. Nehme ich aber
ein Nu, das begreift alle Zeit in sich. Das Nu, worin Gott die Welt machte, ist
dieser Zeit ebenso nahe wie das Nu, worin ich eben spreche, und der jüngste Tag
in diesem Nu so nahe, wie der Tag gestern war.
Ein Meister sagt, Gott ist etwas, das in Ewigkeit ungeteilt in sich
selbst wirkt, das niemandes Hilfe und keines Werkzeuges bedarf und das in sich
selbst bleibt, das nichts bedarf und dessen alle Dinge bedürfen und nach dem
alle Dinge trachten als in ihr letztes Ende. Dies Ende hat keine Weise, es
entwächst der Weise und geht in die Weite. Sankt Bernhard sagt: Gott lieben, das
ist Weise ohne Weise. Kein Ding kann über sein Wesen wirken. Gott aber wirkt
über Wesen in der Weite, wo er sich rühren kann, er wirkt in Unwesen Wesen; ehe
ein Wesen war, wirkte Gott. Große Meister sagen, Gott sei ein absolutes Wesen;
er ist hoch über Wesen, wie der oberste Engel über einer Mücke. Und ich sage, es
ist ebenso unrecht, Gott ein Wesen zu heißen, als ob ich die Sinne bleich oder
schwarz hieße. Gott ist weder dies noch das. Und es sagt ein Heiliger: Wenn
einer wähnt, er habe Gott erkannt – wenn er etwas erkannt hat, so hat er etwas
erkannt und hat also nicht Gott erkannt.
Kleine Meister lesen in der Schule, alle Wesen seien auf zweierlei
Weise geteilt, und diese Weisen sprechen sie Gott völlig ab. Von diesen Weisen
berührt Gott keine, und er entbehrt auch keine. Die erste, die am allermeisten
Wesen hat, worin alle Dinge Wesen annehmen, ist die Substanz, und das Letzte,
was am wenigsten Wesen in sich trägt, heißt relatio, das ist in Gott gleich dem
allergrößten, das am allermeisten Wesen hat; sie haben ein gleiches Bild in
Gott. In Gott sind aller Dinge Bilder gleich; aber sie sind ungleich dem Bild
der Dinge. Der höchste Engel und die Seele und die Mücke haben ein gleiches Bild
in Gott. Gott ist nicht Wesen noch Güte. Güte klebt an Wesen und ist nicht
breiter als Wesen, denn wäre nicht Wesen, so wäre nicht Güte, und Wesen ist noch
reiner als Güte. In Gott ist weder Güte noch Besseres noch Allerbestes. Wer
sagt, dass Gott gut sei, der täte ihm ebenso unrecht, als wer die Sonne schwarz
hieße. Nun spricht Gott: Niemand ist gut als Gott allein. Was ist gut? Was sich
dem Allgemeinen mitteilt. Den heißen sie einen guten Menschen, der gemeinnützig
ist. Darum sagt ein heidnischer Meister, ein Einsiedler sei weder gut noch böse
[dem Sinne nach], weil er der Gemeinschaft und den Leuten nicht nützlich sei.
Gott ist das allgemeinste. Kein Ding teilt von dem Seinen mit, weil alle
Kreaturen an sich selbst nichts sind. Was sie mitteilen, das haben sie von einem
andern. Sie geben sich auch nicht selbst. Die Sonne gibt ihren Schein und bleibt
doch dastehen, das Feuer gibt seine Hitze und bleibt doch Feuer; aber Gott teilt
das Seine mit, weil er an sich selber ist, was er ist, und in allen den Gaben,
die er gibt, gibt er sich selbst immer am ersten. Er gibt sich als Gott, wie er
ist in allen seinen Gaben, sofern es an ihm ist, dass einer ihn empfangen
könnte.
Wenn wir Gott im Wesen nehmen, so nehmen wir ihn in seiner Vorburg;
denn Wesen ist seine Vorburg, worin er wohnt. Wo ist er denn in seinem Tempel?
Dies ist die Vernünftigkeit, wo er heilig erglänzt, wie der andere Meister sagt,
dass Gott eine Vernunft ist, die in ihrer Erkenntnis allein lebt und in sich
selbst allein bleibt, und da hat ihn nie etwas berührt, denn er ist da allein in
seiner Stille. Gott in seiner Selbsterkenntnis erkennt sich selbst in sich
selbst.
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