Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
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Gespräch zwischen Schwester Kathrei
und dem Beichtvater
Der Beichtvater geht oft zu der Tochter und spricht: Sage mir, wie geht
es dir jetzt? – Sie spricht: Es geht mir übel, mir ist Himmel und Erde zu eng. –
Er bittet sie, ihm etwas zu sagen. Sie spricht: Ich weiß nicht, was so klar ist,
dass ich es sagen könnte. – Er spricht: Tu es Gott zulieb, sage mir ein Wort. –
Er gewinnt ihr mit vielem Bitten ein Wörtlein ab. Da redete sie mit ihm so
wunderbar und so tiefe Sprüche von der nackten Findung göttlicher Wahrheit, dass
er spricht: Weißt du, das ist allen Menschen unbekannt, und wäre ich nicht ein
so großer Gelehrter, dass ich es selbst in der Gotteswissenschaft gefunden
hätte, so wäre es mir auch unbekannt. – Sie spricht: Das gönne ich euch
schlecht; ich wollte, ihr hättet’s mit dem Leben gefunden. – Er spricht: Du
sollst wissen, dass ich davon so viel gefunden habe, dass ich es so gut weiß,
wie ich es weiß, dass ich heute die Messe gelesen habe. Aber dass ich es nicht
mit dem Leben in Besitz genommen habe, das ist mir leid. – Die Tochter spricht:
Bittet Gott für mich, und geht wieder in ihre Einsamkeit zurück und verkehrt mit
Gott. Es dauert aber nicht lange, so kommt sie wieder vor die Pforte, fragt nach
ihrem würdigen Beichtvater und spricht: Herr, freuet euch mit mir, ich bin Gott
geworden. – Er spricht: Gott sei gelobt! Geh weg von allen Leuten in deine
Einsamkeit, bleibst du aber Gott, ich gönne ihn dir gern. – Sie ist dem
Beichtvater gehorsam und geht in die Kirche in einen Winkel. Da kam sie dazu,
dass sie alles dessen vergaß, was je Namen trug, und ward so fern aus sich
selbst und aus allen erschaffenen Dingen herausgezogen, dass man sie aus der
Kirche tragen musste, und sie lag bis an den dritten Tag, und sie hielten sie
für sicherlich tot. Der Beichtvater sprach: Ich glaube nicht, dass sie tot ist.
– Wisset, wäre der Beichtvater nicht gewesen, so hätte man sie begraben. Man
versuchte es mit allem, was man nur wusste, aber man konnte nicht finden, ob die
Seele noch in dem Körper sei. Man sprach: Sie ist sicher tot. – Der Beichtvater
sprach: Nein, gewiss nicht. – Am dritten Tag kam die Tochter wieder zu sich. Sie
sprach: Ach, ich Arme, bin ich wieder hier? – Der Beichtvater war alsbald da und
redete zu ihr und sprach: Lass mich göttlichen Wortes genießen und tue mir kund,
was du gefunden. – Sie sprach: Gott weiß wohl, ich kann nicht. Was ich gefunden
habe, das kann niemand in Worte fassen. – Er sprach: Hast du nun alles, was du
willst? – Sie sprach: Ja, ich bin bewähret. – Er sprach: Wisse, diese Rede höre
ich gerne, liebe Tochter, rede weiter. – Sie sprach: Wo ich stehe, da kann keine
Kreatur in kreatürlicher Weise hinkommen. – Er sprach: Berichte mir besser. –
Sie sprach: Ich bin da, wo ich war, ehe ich geschaffen wurde, da ist bloß Gott
und Gott. Da gibt es weder Engel noch Heilige noch Chöre noch Himmel. Manche
Leute sagen von acht Himmeln und von neun Chören; davon ist da nichts, wo ich
bin. Ihr sollt wissen: Alles, was man so in Worte fasst und den Leuten mit
Bildern vorlegt, das ist nichts als ein Mittel, zu Gott zu locken. Wisset, dass
in Gott nichts ist als Gott; wisset, dass keine Seele in Gott hineinkommen kann,
bevor sie nicht so Gott wird, wie sie Gott war, bevor sie geschaffen wurde. – Er
sprach: Liebe Tochter, du sprichst wahr. Nun tu es um Gottes willen und rate
mir deinen nächsten Rat, wie ich dazu komme, dass ich dies Gute besitze. – Sie
sprach: Ich gebe euch einen getreuen Rat. Ihr wisset wohl, dass alle Kreaturen
von Nichts geschaffen sind und wieder zu Nichts werden müssen, ehe sie in ihren
Ursprung kommen. – Er sprach: Das ist wahr. – Sie sprach: So ist euch genug
gesagt. Prüfet: Was ist Nichts? – Er sprach: Ich weiß, was Nichts ist, und weiß
wohl, was weniger ist als Nichts. Das sollst du so verstehen: Alle vergänglichen
Dinge sind vor Gott nichts. Wer also Vergängliches übt, der ist weniger als
nichts. – Warum? – Er ist des Vergänglichen Knecht. Nichts ist Nichts. Wer dem
Nichts dient, ist weniger als Nichts. – Sie sprach: Das ist wahr. Danach richtet
euch, wenn ihr zu eurem Gut kommen wollt, und ihr sollt euch vernichten unter
euch selbst und unter alle Kreatur, sodass ihr nichts mehr zu tun findet, damit
Gott in euch wirken könne. – Er sprach: Du sagst die Wahrheit. Ein Meister
spricht: »Wer Gott als seinen Gott liebt und Gott als seinen Gott anbetet und
sich damit genügen lässt, das ist für mich ein ungläubiger Mensch.« – Sie
sprach: Selig sei der Meister, der dies je gesprochen hat. Er erkannte die
Wahrheit. Ihr sollt wissen, wer sich damit genügen lässt mit dem, was man in
Worte fassen kann: Gott ist ein Wort, Himmelreich ist ein Wort – wer nicht weiter
kommen will mit den Kräften der Seele, mit Erkenntnis und Liebe, als je in Worte
gefasst ward, der soll mit Fug ein Ungläubiger heißen.
Was man in Worte fasst, das begreifen die niedersten Sinne oder
Kräfte der Seele. Damit begnügen sich die obersten Kräfte der Seele nicht. Sie
dringen immer weiter voran, bis sie in den Ursprung kommen, woraus die Seele
geflossen ist. Ihr sollt aber wissen, dass die Kraft der Seele nicht in den
Ursprung kommen kann. Wenn die Seele in ihrer Majestät über allen geschaffenen
Dingen vor dem Ursprung steht, so bleiben alle Kräfte draußen. Das sollt ihr so
verstehen: Es ist die Seele nackt und aller Namen tragenden Dinge entblößt, so
steht sie eins in einem, sodass sie ein Vorwärtsgehen in der bloßen Gottheit
hat wie das Öl auf dem Tuche, das läuft immer weiter. So läuft die Seele weiter
und fließt immer vorwärts, solange als Gott das angeordnet hat, dass sie dem
Leib in der Zeit Wesen geben muss. Wisset: Solange der gute Mensch auf Erden
lebt, solange hat seine Seele Fortgang in der Ewigkeit. Darum haben gute
Menschen das Leben lieb. Wie die Guten hinaufgehen, so gehen die Bösen, die in
Fehlern sind, hinab. – Fürwahr, liebe Tochter, nun erkläre mir: Man spricht von
der Hölle und vom Fegefeuer und vom Himmelreich und davon lesen wir gar viel.
Nun lesen wir aber auch, dass Gott in allen Dingen ist und alle Dinge in Gott. –
Sie sprach: Das sage ich dir gerne, soweit ich’s in Worte fassen kann: Hölle ist
nichts als ein Wesen. Was hier das Wesen der Leute ist, das bleibt ihr Wesen in
Ewigkeit, so wie sie drin gefunden werden. Eine Menge Leute glauben, sie hätten
hier ein Wesen der Kreatur und dort besäßen sie ein göttliches Wesen. Das kann
nicht sein. Wisset, dass darin sich viele Leute täuschen. Das Fegefeuer ist ein
angenommenes Ding wie eine Buße, das nimmt ein Ende. Man spricht vom jüngsten
Tage, dass Gott da Urteil sprechen soll. Das ist wahr. Es ist aber nicht so, wie
die Leute wähnen. Jeder Mensch urteilt über sich selbst: Wie er da in seinem
Wesen erscheint, so soll er ewiglich bleiben. – Die Tochter redete immer weiter
und kam mit der Rede auf Gott und sprach so viel von Gott, dass der Beichtvater
nur immer sprach: Liebe Tochter, rede weiter! – Die Tochter sagte ihm so viel
von der Größe Gottes und seiner Macht und seiner Vorsehung, dass er von allen
seinen äußeren Sinnen kam und man ihn in eine stille Zelle tragen musste, und da
lag er eine lange Zeit, ehe er wieder zu sich kam. Als er wieder zu sich
gekommen war, hatte er Begierde, dass die Tochter zu ihm käme. Die Tochter kam
zu dem Beichtvater und sprach: Wie geht es euch jetzt? – Er sprach: Von Herzen
gut. Gelobt sei Gott, dass er dich je zu einem Menschen schuf! Du hast mir den
Weg zu meiner ewigen Seligkeit gewiesen, ich bin zur Anschauung Gottes gekommen
und mir ist ein wahres Wissen alles dessen gegeben, was ich von deinem Munde
gehört habe. Fürwahr, liebe Tochter, gedenke der Liebe, die du von Gott hast,
und hilf mir mit Worten und mit Werken, dass ich da, wo ich jetzt bin, ein
Bleiben erlange. – Sie sprach: Wisset, das kann nicht sein. Ihr habt nicht die
rechte Natur dazu. Wenn eure Seele und eure Kräfte in gewohnter Weise den Weg
auf und nieder gehen, wie ein Gefolge an einem Hofe aus und eingeht, und ihr das
himmlische Gefolge und alles, was Gott je schuf, so gut zu unterscheiden
versteht, wie ein Mann sein Gefolge kennt, dann sollt ihr den Unterschied
zwischen Gott und der Gottheit prüfen. Dann erst sollt ihr danach trachten, dass
ihr bewährt werdet. Ihr sollt euch nicht verirren, ihr sollt mit den Kreaturen
Kurzweil suchen, dass ihr keinen Schaden davon nehmt und auch sie von euch
keinen Schaden erleiden. Hiermit sollt ihr eure Kräfte heben, damit ihr nicht in
Raserei verfallet. Dies sollt ihr so oft tun, bis die Kräfte der Seele gereizt
werden, bis ihr in das Wissen gelangt, von dem wir vorhin geredet haben. –
Gelobt und geehrt sei der süße Namen unseres Herrn Jesus Christi. Amen.
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