Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Ein Zweites vom namenlosen Gott
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Die Seele auf der Suche nach Gott
Die Gott um Lohn mit äußeren Werken dienen, denen soll mit geschaffenen
Dingen wie Himmelreich und himmlischen Dingen gelohnt werden. Die aber Gott mit
innerlichen Werken dienen, denen soll mit dem gelohnt werden, was ungeschaffen
ist, das heißt mit den Werken der heiligen Dreifaltigkeit!
Nun pass auf! Zerginge das Feuer, so wäre kein Licht; zerginge die
Erde, so wäre kein Leben; zerginge die Luft, so wäre keine Liebe; zerginge das
Wasser, so wäre kein Raum. Darum ist Gott nicht Licht noch Leben noch Liebe noch
Natur noch Geist noch Schein noch alles, was man in Worte fassen kann. Es ist
Gott in Gott, und Gott ist aus Gott geflossen, und Gott befindet sich in sich
selbst als Gott und befindet sich in all seinen Kreaturen als Gott und befindet
sich insbesondere in einer edeln Seele. Der Vater ist allgewaltig in der Seele,
der Sohn allweise, der heilige Geist allliebend in der Seele und er liebt alle
Kreaturen in gleicher Liebe. Er zeigt sich ihnen aber ungleich; und dazu ist die
Seele geschaffen, dass sie es erkennen soll, wie es ist, und sich in die
Reinheit des grundlosen Brunnens göttlicher Natur versenken soll und da wie eins
werden mit Gott, sodass sie selbst sagen könnte, sie sei Gott. So abgezogen
sollte die Seele in sich selbst sein, dass sie keine gemachten oder genannten
Dinge in sich bilden kann, und sollte so entblößt in sich selbst sein, wie Gott
aller Namen entblößt ist, und sollte sich über sich selbst in ihren Gott erheben
und sich mit ihrem Gott für ihren Gott halten; denn Gott ist weder weiß noch
schwarz noch groß noch klein; er hat weder Raum noch Vergangenheit noch Zukunft,
und die Seele ist ihm nur insofern gleich, als sie sich über alle Geschaffenheit
hinwegsetzen kann.
Die Seele ist eine Kreatur, die alle genannten Dinge empfangen
kann, und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie so tief in Gott
empfangen wird, dass sie selbst namenlos wird. Und das kann dann niemand wissen,
ob Gott sie oder sie Gott ergriffen habe. Dionysius sagt, dass Gott sich selbst
in ihr begriffen habe und sie so ganz in sich zieht, dass sie in sich selbst
nichts mehr ist als Gott. Zu dieser Erkenntnis ist die Seele geschaffen, dass
sie mit einem Erguss göttlicher Herrlichkeit in den Grund des grundlosen
Brunnens zurückfließen soll, woher sie geflossen ist, und erkennen soll, dass
sie an sich selbst nichts ist. Das Wahrste, das uns zugehört, das ist, dass wir
erkennen, dass wir von uns selbst aus nichts sind und dass wir nicht wir selbst
sind.
Gott hat alle Dinge für sich selbst getan und hat die Seele sich
gleich gemacht, damit sie über allen Dingen, unter allen Dingen, in allen Dingen
und außerhalb aller Dinge sein könne und doch ungeteilt in sich selbst bleibe.
Doch steht sie auf höherer Stufe, wenn sie in der Wüstung verharrt, wo sie
nichts ist und wo kein Werk ist. Sankt Dionysius sagt: Herr, ziehe mich in die
Wüste, wo du nicht gebildet bist, damit ich in deiner Wüste alle Bilder
verliere. Wenn die Seele so über alle Dinge hinausgegangen ist, so spricht sie:
Herr, ziehe mich in die Gottheit, wo du nichts bist, denn alles, was etwas ist,
halte ich nicht für Gott. Ihren freien Willen gibt sie Gott und wirft sich in
ihre Nacktheit und spricht: Herr, ziehe mich in die Finsternis deiner Gottheit,
auf dass ich in der Finsternis all mein Leben verliere: Denn alles, was man
offenbaren kann, halte ich nicht für Licht. Sie wird so mit Gott vereinigt, dass
sie mehr Gott wird, als sie an sich selbst ist. Etwas von Gott ist Gott ganz und
gar, und etwas von ihm birgt sein ganzes Wesen. Darum ist er in der niedrigsten
Kreatur ebenso vollkommen wie in der obersten. Ein Gleichnis: Der kleinste
Zapfen am Fass verschließt alles, was darin ist, ebenso gut wie der größte. Darum
ruht sein Begreifen auf seiner väterlichen Kraft. Er begreift sich in sich
selbst in allen Kreaturen. Und das Begreifen hat er verhüllt mit dem Gewande der
Dunkelheit, dass ihn keine Kreatur so begreifen kann, wie er sich selbst in sich
selbst begreift. Was die Seele im Licht begreift, das verliert sie in der
Dunkelheit. Und doch trachtet sie nach der Dunkelheit, weil sie das Dunkel
wegsamer dünkt als das Licht. Allda verliert sie sich und das Licht in der
Dunkelheit.
Die Kraft, die die Seele zum Ziel bringt und sie aus sich selbst
ohne ihr Zutun hinausführt, ist Gott. Ich berühre das Münster, ich führe es aber
nicht hinweg. Dass wir Gott Materie, Form und Werk beilegen, geschieht um
unserer groben Sinne wegen. Die Meister sagen: Ein Licht erleuchtet nicht und
hat weder Form noch Materie und ist doch Kreatur. Wer Gott kennen will, wie er
ist, der muss aller Wissenschaft entledigt sein. Wo Gott weder Zeit noch Wesen
hat, da ist er ungenannt.
Nun pass auf, wann der Mensch alle Kreatur ist: Wenn er ihrer aller
Kraft in sich hat. Wenn der Mensch mit den äußeren Sinnen alle körperlichen
Dinge erkennt und sich dann abscheidet und doch ohne Berührung darin bleibt, und
wenn er mit den inneren Sinnen alle geistigen Dinge erkennt und sich dann
ebenfalls abscheidet und ohne Berührung darin bleibt: Dann erst ist der Mensch
alle Kreatur, und dann erst ist er zu seiner Natur gekommen und ist bereit, in
Gott zu gehen. Dass wir Gott nicht finden, das kommt daher: Wir suchen ihn mit
Gleichnissen, während er doch kein Gleichnis hat. Alles, was die Schrift
beibringen kann, ist mehr ihm ungleich als ihm gleich. Darüber sagt Origenes,
dass die Seele Gott erforschen will, das kommt von ihrem vielen Beobachten.
Erkennte sie sich selbst, sie erkennte auch ihren Gott. Dass sich die Seele
bildet und ihren Gott bildet, das kommt bei ihr davon, dass sie zu viel
beobachtet. Wenn sie in die Gottheit versinkt, da geht ihr alles Beobachten
verloren.
Darüber sagt Dionysius zu Timotheus: Mein Freund Timotheus, wirst
du des Geistes der Wahrheit gewahr, so geh ihr nicht mit menschlichen Sinnen
nach, denn er ist sehr geschwinde: Er kommt als ein Sausen. Man soll Gott suchen
mit Fremdheit, mit Vergessenheit und mit Unsinnen, denn die Gottheit hat die
Kraft aller Dinge in sich und hat in keinen Dingen ihresgleichen. Dionysius
sagt, die Seele hat ihre Kräfte auf ihr nacktes Wesen geworfen, sodass die
oberste Kraft allein wirkt. Darüber sagt ein Meister: Wenn die oberste Kraft
über die Werke die Oberhand gewinnt, so gehen die anderen alle in sie und
verlieren ihr Werk, und dann steht die Seele in ihrer richtigen Ordnung und in
ihrem nackten Wesen, und ihr nacktes Wesen ist ihre emporgezogene Klarheit, die
hat aller Dinge Kraft in sich. Darum sagt ein Meister: Erkennte die Seele sich
selbst, so erkennte sie alle Dinge.
Gott fließt in sich selbst zurück, sodass er aller Kreaturen so
wenig achtet, als er tat, wie sie nicht waren. So soll auch die Seele tun. Die
soll mit dem Menschtum die Person des Sohns begreifen und mit der Person des
Sohns den Vater und den heiligen Geist in ihnen beiden und sie beide in dem
heiligen Geist und soll mit der Person des Vaters das einfache Wesen begreifen
und mit dem Wesen den Abgrund und soll in dem Abgrund versinken ohne Materie und
Form. Materie, Form, Verstand und Wesen hat sie in der Einheit verloren, denn
sie ist an sich selbst zunichte geworden: Gott wirkt alle ihre Werke, er hält
sie in seinem Wesen und führt sie in seiner Kraft in die bloße Gottheit. Da
fließt sie mit der Gottheit in all das, worin Gott fließt. Sie ist aller Dinge
Ort, und sie hat selbst keinen Ort. Dies ist der Geist der Weisheit, die weder
Herz noch Gedanken hat.
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