Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
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Von der Erneuerung des Geistes
»Ihr sollt erneuert werden an eurem Geiste, der da mens heißet«, das
heißt ein Bewusstsein. So spricht Sankt Paulus. Nun sagt Augustin, dass an dem
ersten Teil der Seele, das da mens heißt oder Bewusstsein, mit dem Wesen der
Seele eine Kraft geschaffen hat, die die Meister einen Verschluss oder Schrein
geistlicher Formen oder formloser Bilder heißen. Diese Kraft macht den Vater der
Seele gleich durch seine ausfließende Gottheit, von der er den ganzen Hort
seines göttlichen Wesens in den Sohn und in den heiligen Geist mit persönlicher
Unterscheidung gegossen hat, wie die Gedächtniskraft der Seele den Kräften der
Seele den Schatz der Bilder ausgießt. Wenn nun die Seele mit dieser Kraft
irgendwelche Bildlichkeit schaut, sie es das Bild eines Engels oder ihr eigenes
Bild, so ist es gar mangelhaft. Schaut sie Gott, wie Gott ist oder wie er Bild
ist oder wie er drei ist, es ist mangelhaft. Wenn aber alle Bilder der Seele
abgeschieden werden und sie allein das einig Eine schaut, so findet das nackte
Wesen der Seele das nackte formlose Wesen göttlicher Einheit, das da ist ein
überwesendes Wesen, empfangend, in sich selbst liebend. O Wunder über Wunder,
welch edles Empfangen ist das, dass das Wesen der Seele nichts anderes empfangen
kann als allein die Einheit Gottes! Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt
erneuert werden am Geiste.« Erneuerung befällt alle Kreaturen unter Gott; aber
Gott befällt keine Erneuerung, er ist ganz Ewigkeit. Was ist Ewigkeit? Passt
auf: Die Eigenheit der Ewigkeit ist, dass Dasein und Jungsein in ihr eins ist,
denn die Ewigkeit wäre nicht ewig, wenn sie neu werden könnte und nicht allewege
wäre. Nun sage ich: Die Seele befällt Erneuerung, insofern sie Seele heißt, denn
sie heißt darum Seele, weil sie dem Körper Leben gibt und eine Form des Körpers
ist. Sie wird auch von der Erneuerung betroffen, insofern sie Geist heißt. Darum
heißt sie ein Geist, weil sie von hier und von jetzt und von aller Natürlichkeit
abgeschieden ist. Aber insofern sie ein Bild Gottes ist und namenlos wie Gott,
da tritt keine Erneuerung an sie heran, sondern allein Ewigkeit wie in Gott. Nun
passt auf! Gott ist namenlos, denn von ihm kann niemand etwas sprechen oder
verstehen. Darum sagt ein heidnischer Meister: Was wir von der ersten Ursache
verstehen oder sprechen, das sind wir mehr selbst, als dass es die erste Ursache
wäre, denn sie ist über allem Sprechen und Verstehen. Sage ich nun: Gott ist
gut, so ist es nicht wahr, sondern ich bin gut, Gott ist nicht gut. Ich sage
mehr: Ich bin besser als Gott, denn was gut ist, kann besser werden; was besser
werden kann, kann das Allerbeste werden. Nun ist Gott nicht gut, daher kann er
nicht besser werden. Und wenn er also nicht besser werden kann, so kann er auch
nicht allerbest werden, denn diese drei sind fern von Gott: gut, besser und
allerbest, denn er ist über allem. Sage ich ferner: Gott ist weise, so ist es
nicht wahr: Ich bin weiser als er. Sage ich ferner: Gott ist ein Wesen, so ist
es nicht wahr: Er ist ein überschwebendes Wesen und eine überwesende Nichtheit.
Daher sagt Sankt Augustin: Das Schönste, was der Mensch von Gott sprechen kann,
das ist, dass er vor Weisheitsfülle schweigen kann. Daher schweig und schwatze
nicht von Gott, denn damit, dass du von ihm schwatzest, lügst du, tust also
Sünde. Willst du nun ohne Sünde sein und vollkommen, so schwatze nicht von Gott.
Du sollst auch nichts verstehen unter Gott, denn Gott ist über allem Verstehen.
Es sagt ein Meister: Hätte ich einen Gott, den ich verstehen könnte, ich wollte
ihn nimmer für Gott halten. Verstehst du nun etwas unter ihm, davon ist er
nichts, und damit, dass du etwas unter ihm verstehst, kommst du in eine
Unverstandsamkeit, und von der Unverstandsamkeit kommst du in eine Tierheit;
denn was an den Kreaturen unverständig ist, das ist tierisch. Willst du nicht
tierisch werden, so verstehe nichts von dem ungeworteten Gotte. »Ach, wie soll
ich denn tun?« Du sollst ganz und gar entsinken deiner Deinheit und sollst
zerfließen in seine Seinheit, und es soll dein Dein in seinem Mein ein Mein
werden, so gänzlich, dass du mit ihm ewiglich verstehst seine ungewordene
Istigkeit und seine ungenannte Nichtigkeit.
Nun spricht Sankt Paulus: »Ihr sollt erneuert werden am Geiste.«
Wollen wir nun am Geiste erneuert werden, so müssen die sechs Kräfte der Seele,
sowohl die obersten wie die untersten, jede einen goldenen Ring am Finger haben,
vergoldet mit dem Golde göttlicher Liebe. Nun achtet auf die niedersten Kräfte,
es sind ihrer drei. Die erste heißt Einsicht, rationale; an der sollst du einen
goldenen Ring haben, das ist das Licht, auf dass deine Einsicht zu allen Zeiten
ohne Zeit mit dem göttlichen Lichte erleuchtet sei. Die andere Kraft heißt die Zürnerin, irascibilis; an der sollst du einen Ring haben, das ist dein Friede.
Warum? Darum: wenn in Frieden, dann in Gott; wenn aus Frieden, dann aus Gott.
Die dritte Kraft heißt Begehrung: concupiscibilis; an der sollst du
Genügsamkeit haben, damit du dich mit allen Kreaturen, die unter Gott sind,
begnügst; aber mit Gott sollst du dich niemals begnügen, denn von Gott kannst du
nie genug haben: Je mehr Gottes du hast, je mehr begehrst du seiner; denn
könntest du dich mit Gott begnügen, sodass Gott vom Genug betroffen würde, so
wäre Gott nicht Gott.
Du musst auch an jeder von den obersten Kräften einen goldenen Ring
haben. Der obersten Kräfte gibt es auch drei. Die erste heißt eine behaltende
Kraft, memoria. Diese Kraft vergleicht man dem Vater in der Dreifaltigkeit. An
der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich ein Behalten, damit du alle
ewigen Dinge in dir behalten sollst. Die andere heißt Verstand, intellectus.
Diese Kraft vergleicht man dem Sohne. An der sollst du auch einen goldenen Ring
haben, nämlich Erkenntnis, damit du Gott zu allen Zeiten erkennen sollst. Und
zwar wie? Du sollst ihn erkennen ohne Bild, ohne Mittel und ohne Gleichnis. Soll
ich aber Gott so unmittelbar erkennen, so muss vollends ich er werden und er ich
werden. Ich sage mehr: Gott muss vollends ich werden und ich vollends Gott, wie
völlig eins, dass dies Er und dies Ich ein Ich werden und sind und in der Istigkeit ewig ein Werk wirken; denn solange dies Er und dies Ich, das heißt
Gott und die Seele, nicht ein einziges Hier oder ein einziges Jetzt sind, solange
könnte dies Ich mit dem Er niemals zusammenwirken oder eins werden. Die dritte
Kraft heißt Wille, voluntas. Diese Kraft vergleicht man dem heiligen Geiste. An
der sollst du einen goldenen Ring haben, nämlich die Liebe, damit du Gott lieben
sollst. Du sollst Gott lieben ohne Liebheit, das heißt nicht darum, weil er
liebevoll sei, denn Gott ist unliebevoll; er ist über aller Liebe und Liebheit.
»Wie soll ich denn Gott lieben?« Du sollst Gott nichtgeistig lieben, das
heißt, deine Seele soll nichtgeistig sein und aller Geistigkeit entkleidet; denn
solange die Seele geistförmig ist, hat sie Bilder; solange sie Bilder hat, hat
sie nicht Einheit noch Eintracht; solange sie nicht Eintracht hat, liebte sie
Gott nicht recht, denn bei rechter Liebe kommt es auf die Eintracht an. Darum
soll deine Seele nichtgeistig sein, frei von allem, was Geist ist, und soll
geistlos dastehen; denn liebst du Gott, wie er Gott ist, wie er Geist ist, wie
er Person ist und wie er Bild ist, das muss alles hinab. »Wie soll ich ihn denn
lieben?« Du sollst ihn lieben, wie er ist: ein Nichtgott, ein Nichtgeist, eine
Nichtperson, ein Nichtbild, sondern: wie er ein bloßes, pures, reines Eins ist,
gesondert von aller Zweiheit, und in dem Einen sollen wir ewiglich versinken von
Nichts zu Nichts. Das walte Gott. Amen.
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