Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
Von der Stadt der Seele
Vom namenlosen Gott
Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
Von unsagbaren Dingen
Vom Leiden Gottes
Von der Einheit der Dinge
Wie Jesus an dem Stricke zog
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Von der Einheit der Dinge
Als ich heute hierher ging, überlegte ich mir, wie ich euch so vernünftig
predigen könnte, dass ihr mich wohl verstündet, und ich dachte mir ein Gleichnis
aus. Wenn ihr das recht verstehen könntet, so verstündet ihr meinen Sinn und den
Grund aller meiner Meinungen, den ich immer predigte. Es war aber das Gleichnis
von meinen Augen und von dem Holze. Wenn mein Auge aufgetan wird, so ist es mein
Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, wegen des Sehens geht dem Holze weder
etwas ab noch etwas zu. Nun merket recht auf: Geschieht aber das, dass mein Auge
an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen
wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie
in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, sodass man sagen kann: Auge-Holz,
und das Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz ohne Materie und ganz geistig,
wie das Gesicht meiner Augen, so könnte man in Wahrheit sagen, dass in der
Wirksamkeit meines Gesichts das Holz und mein Auge aus einem Wesen bestehen. Ist
dies wahr von den körperlichen Dingen, viel mehr wahr ist es von geistigen
Dingen. Ihr sollt wissen, mein Auge hat viel mehr Einheit mit den Augen eines
Schafes, das jenseits des Meeres ist und das ich nie gesehen habe, als mit
meinen Ohren, mit denen es doch eins ist im Wesen; und das kommt daher, weil das
Auge des Schafes dieselbe Wirksamkeit hat wie mein Auge, und daher spreche ich
ihnen mehr Einheit im Wirken zu als meinen Augen und Ohren, denn die sind im
Wirken verschieden.
Ich habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist
und das ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich
allewege in meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar
und ohne Hüllen wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung
findet statt in der Wirksamkeit der Hineingebärung. Da kann ich wahrlich sagen,
dieses Licht hat mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es
doch im Wesen eins ist. Denn ihr sollt wissen: Dieses Licht ist im Wesen meiner
Seele nicht höher im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste Kraft, die
von Hunger oder Durst, Rost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt
daher, dass das Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen
betrachtet, sind sie alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in
ihren Werken, dann ist eine viel edler und höher als die andere.
Darum sage ich: Wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen
geschaffenen Dingen abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und
beseligt in dem Fünklein der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser
Funke entzieht sich allen Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst
ist. Er begnügt sich nicht mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist und nicht
mit den drei Personen, sofern jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich
sage wahrlich: Eben dieses Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der
fruchtbaren Beschaffenheit der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was
noch wunderbarer lautet: Ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich
nicht mit dem einfachen stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch
nimmt, sondern es will wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den
einfachen Grund, in die stille Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder
Vater noch Sohn noch heiliger Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand
heimisch ist, da begnügt es sich in einem Licht und da ist es einiger als in
sich selbst; denn dieser Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst
unbeweglich ist, und von dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen
ihr ganzes Leben alle Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst
versenkt haben. Dass wir so vernünftig leben, das walte Gott. Amen.
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