Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
Von der Stadt der Seele
Vom namenlosen Gott
Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
Von unsagbaren Dingen
Vom Leiden Gottes
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Wie Jesus an dem Stricke zog
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Von stetiger Freude
Die Seele hat etwas in sich, ein Fünklein der Vernünftigkeit, das nimmer
erlischt, und in dies Fünklein versetzt man das Bild der Seele als in das
oberste Teil des Bewusstseins; und es ist auch ein Erkennen in unsern Seelen,
das äußern Dingen nachgeht, nämlich das sinnliche und Verstandeserkennen, das in
Gleichnissen und in der Sprache vor sich geht, das verbirgt uns dies. Wie sind
wir Söhne Gottes? Das ist, dass wir ein Wesen haben mit ihm. Doch was wir
darunter verstehen, dass wir Söhne Gottes sind, das ist zu verstehen von dem
äußern Verstehen und von dem innern Verstehen. Das innere Erkennen ist, was sich
vernünftig fundiert auf das Wesen unserer Seele. Doch ist es nicht das Wesen der
Seele, es ist vielmehr darein gewurzelt und es ist etwas vom Leben der Seele.
Wir sagen, dass das Verstehen etwas Lebendes der Seele sei, das heißt
vernünftiges Leben, und in diesem Leben wird der Mensch geboren zu Gottes Sohn
und zu dem ewigen Leben, und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Raum und ohne
Hier und ohne Jetzt. In diesem Leben sind alle Dinge eins und alle Dinge
gemeinsam, alle Dinge alles in allem und allem geeinigt.
Gott macht, dass wir ihn selbst erkennen, und sein Wesen ist sein
Erkennen, und es ist dasselbe, dass er mich erkennend macht und dass ich
erkenne, und darum ist sein Erkennen mein, wie das, was der Meister lehrt und
der Schüler gelehrt wird, ein und dasselbe ist. Und wenn also sein Erkennen mein
ist, und wenn seine Substanz sein Erkennen ist und seine Natur und sein Wesen,
so folgt daraus, dass sein Wesen und seine Substanz und seine Natur mein ist.
Und wenn also seine Substanz, sein Wesen und seine Natur mein ist, so bin ich
der Sohn Gottes. Seht, Brüder, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, dass wir
Sohn Gottes heißen und sein eigen.
Merkt, wie wir Söhne Gottes werden: wenn wir dasselbe Wesen haben,
das der Sohn hat. Wie ist man der Sohn Gottes, oder wie weiß man es, wenn Gott
niemandem gleich ist? Das ist wahr. Wenn es also Gottes Natur ist, dass er
niemandem gleich ist, so ist es notwendig, dass wir dazu kommen, dass wir nichts
sind, auf dass wir in dasselbe Wesen gesetzt werden können, das er selbst ist.
Daher kann ich, wenn ich dazu komme, dass ich mich in Nichts umbilde und Nichts
in mich umbilde, und hinaustrage und hinauswerfe, was in mir ist, in das reine
Wesen des Geistes versetzt werden. Da muss alles ausgetrieben werden, was
Gleichnis ist, dass ich in Gott verwandelt werde und eins mit ihm werde und eine
Substanz und ein Wesen und eine Natur und der Sohn Gottes. Und wenn das
geschehen ist, dann ist nichts in Gott verborgen, was nicht offenbar wird und
was nicht mein wird. Denn dann werde ich weise und mächtig und ganz wie er und
ein und dasselbe mit ihm. Dann wird Zion ein Wahrsehender, ein wahrer Israel,
das heißt ein sehender Mann: Gott, denn ihm ist nichts verborgen in der
Gottheit. Da wird der Mensch in Gott geführt. Aber damit mir nichts verborgen
bleibe und alles offenbar werde, darf in mir kein Gleichnis und kein Bild mehr
vorhanden sein, denn kein Bild kann uns die Gottheit oder sein Wesen öffnen.
Bliebe irgendein Bild in dir oder irgendein Gleichnis, so würdest du nimmer eins
mit Gott. Damit du also mit Gott eins seist, darf nichts in dir eingebildet oder
ausgebildet sein, das heißt, alles was in dir verborgen ist, muss offen und
hinausgeworfen werden.
Es gibt zweierlei Geburt der Menschen: eine in der Welt und eine
aus der Welt, das heißt geistig in Gott. Willst du wissen, ob dein Kind geboren
werde und ob es entledigt sei, das heißt, ob du zu Gottes Sohn gemacht seist:
Solange du Leid in deinem Herzen hast um irgendein Ding [es sei denn um Sünde],
solange ist dein Kind nicht geboren. Hast du Herzeleid, so bist du nicht Mutter,
du bist vielmehr in der Gebärung und nahe der Geburt. Daran darfst du nicht
zweifeln, wenn du traurig bist um dich oder um deinen Freund, so ist es nicht
geboren, es ist aber nahe an der Geburt. Aber dann ist es vollkommen geboren,
wenn der Mensch von Herzen kein Leid empfindet um irgendein Ding: Dann hat der
Mensch das Wesen und die Natur und die Substanz und die Weisheit und die Freude
und alles, was Gott hat, dann wird dieses Wesen des Sohnes Gottes unser und in
uns, und wir kommen in dieses Wesen Gottes.
Christus sagt: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst
und hebe sein Kreuz auf und folge mir.« Das heißt: Wirf alles Herzeleid hinaus,
auf dass in deinem Herzen nichts als stetige Freude sei. Dann ist das Kind
geboren. Wenn dieses Kind in mir geboren ist, sähe ich gleich meinen Vater und
alle meine Freunde vor meinen Augen tot, mein Herz wäre darum nicht bewegt. Aber
würde mein Herz von diesem bewegt, so wäre das Kind in mir nicht geboren, aber
vielleicht wäre es nahe der Geburt. Ich sage, Gott und die Engel haben so große
Freude über jedes Werk eines guten Menschen, dass dem keine Freude zu
vergleichen ist. Darum sage ich: Wenn das Kind in dir geboren wird, so hast du
so große Freude über jedes gute Werk, das in dieser Welt geschieht, dass deine
Freude die allergrößte Stetigkeit wird, sodass sie sich nicht ändert. Und bin
ich ganz in das göttliche Wesen verwandelt, so wird Gott mein und alles, was er
hat. Dann habe ich rechte Freude, die nicht Leid noch Pein von mir nehmen kann,
denn dann bin ich in das göttliche Wesen versetzt, wo kein Leiden Platz hat.
Wenn du also dazu kommst, dass du um nichts mehr Leid noch Kummer trägst und
dass dir alles eine reine Freude ist, dann ist das Kind in Wahrheit geboren.
Dass uns dies widerfahre, das walte Gott. Amen.
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