Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
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Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
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Vom namenlosen Gott
Unser Herr sprach: »Frau, die Zeit wird kommen und ist schon jetzt, wo
die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten, und solche
suchet der Vater.«
Nun achtet auf das erste Wörtlein, wo er spricht: »Die Zeit wird
kommen und ist schon jetzt.« Wer da den Vater anbeten will, der muss sich in die
Ewigkeit versetzen mit seinem Begehren und mit seiner Zuversicht. Es gibt einen
obersten Teil der Seele, der steht über der Zeit und weiß nichts von der Zeit
noch vom Leibe. Alles, was je geschah vor tausend Jahren, der Tag, der vor
tausend Jahren war, der ist in der Ewigkeit nicht ferner als diese Stunde, wo
ich jetzt stehe, und der Tag, der nach tausend Jahren kommen wird oder soweit du
zählen kannst, der ist in der Ewigkeit nicht ferner als diese Stunde, worin ich
jetzt stehe.
Nun spricht er: »Die beten an den Vater.« Ach, wie viele gibt es,
die beten die Kreaturen an und kümmern sich darum, und das sind gar törichte
Leute. Sobald du Gott anbetest um der Kreatur willen, so bittest du um deinen
eigenen Schaden, denn sobald die Kreatur Kreatur ist, trägt sie Bitterkeit und
Schaden und Übel und Ungemach in sich. Und darum geschieht den Leuten ganz
Recht, die Ungemach und Bitterkeit davon haben. Warum? Sie haben darum gebeten.
Alle Dinge, die in der Zeit sind, haben ein Warum. Wie der, der
einen Menschen fragte: »Warum issest du?« »Damit ich Kraft habe.« »Warum
schläfst du?« »Aus demselben Grunde.« Und so sind alle Dinge, die in der Zeit
sind. Aber wer einen guten Menschen fragte: »Warum liebst du Gott?« »Ich weiß
nicht, um Gottes willen.« »Warum liebst du die Wahrheit?« »Um der Wahrheit
willen.« »Warum liebst du die Gerechtigkeit?« »Um der Gerechtigkeit willen.«
»Warum liebst du die Güte?« »Um der Güte willen.« »Warum lebst du?« »Wahrlich,
ich weiß nicht! Ich lebe gerne.«
Die Meister sagen, die Seele habe zwei Gesichter, und das obere
Gesicht schauet allezeit Gott, und das niedere Gesicht blickt etwas herab und
das berichtet die Sinne, und das oberste Gesicht ist das oberste der Seele, das
steht in der Ewigkeit und hat nichts mit der Zeit zu schaffen und weiß nichts
von der Zeit und vom Leibe. Und ich habe manchmal gesagt, dass darin etwas
verborgen liege wie ein Ursprung alles Guten und wie ein leuchtendes Licht, das
allezeit leuchtet, und wie ein brennender Brand, der allezeit brennt [und der
Brand ist nichts anderes als der heilige Geist].
Die Meister sagen, aus dem obersten Teil der Seele fließen zwei
Kräfte. Die eine heißt Wille, die andere Vernunft, und die Vollkommenheit der
Kräfte liegt in der obersten Kraft, die da Vernunft heißt. Die kann nimmer
ruhen. Sie will nicht Gott, wie er der heilige Geist ist und wie er der Sohn
ist, und fliehet den Sohn. Sie will auch nicht Gott, wie er Gott ist. Warum? Da
hat er Namen; und wären tausend Götter, sie bricht sich immer mehr Bahn, sie
will ihn da, wo er keine Namen hat: Sie will etwas Edleres, etwas Besseres als
Gott, wie er Namen hat. Was will sie denn? Sie weiß nicht. Sie will ihn, wie er
Vater ist. Sie will ihn, wie er ein Grund ist, aus dem Güte entspringt; sie will
ihn, wie er ein Kern ist, aus dem Güte fließt; sie will ihn, wie er eine Wurzel
ist, eine Ader, in der Güte entspringt, und da ist er allein Vater.
Nun spricht unser Herr: »Es erkennt niemand den Vater als der Sohn
und den Sohn niemand als der Vater.« In Wahrheit, wenn wir den Vater erkennen
wollen, so müssen wir Sohn sein. Ich habe einmal drei böse Wörtlein gesprochen,
die mögt ihr als drei böse Gewürze aufnehmen, auf die ihr trinken müsst. Zum
Ersten: Wollen wir Sohn sein, so müssen wir einen Vater haben. Denn des Sohnes
Leben hängt an dem Vater, und des Vaters Leben hängt an dem Sohn, und darum kann
niemand sagen: Ich bin Sohn, wenn er keinen Vater hat, und der Mensch ist in
Wahrheit Sohn, der da alle seine Werke aus Liebe wirkt. – Das Zweite, was den
Menschen allermeist zum Sohn macht, das ist Gleichmut. Ist er krank, so sei er
ebenso gern krank wie gesund, gesund wie krank. Stirbt ihm ein Freund, in Gottes
Namen; wird ihm ein Auge ausgeschlagen, in Gottes Namen. – Das Dritte, was ein
Sohn haben soll, das ist, dass er sein Antlitz nach nichts mehr wendet als nur
nach dem Vater. O wie edel ist die Kraft, die da über der Zeit steht und die da
ohne Raum steht! Denn damit, dass sie über der Zeit steht, hat sie alle Zeit in
sich geschlossen und ist alle Zeit, und wie wenig einer auch von dem hätte, was
über der Zeit steht, der wäre gar bald reich geworden, denn was jenseits des
Meeres ist, ist der Kraft nicht ferner, als was jetzt gegenwärtig ist. Und von
denen spricht er: »Solche suchet der Vater.«
Seht, so liebkost uns Gott, so fleht uns Gott an, und Gott kann
nicht warten, bis sich die Seele geschmückt und von der Kreatur zornig entfernt
hat; und es ist eine sichere und eine notwendige Wahrheit, dass es Gott so Not
tut, uns zu suchen, als ob all seine Gottheit daran hänge, wie es auch der Fall
ist. Und Gott kann unser so wenig entbehren wie wir seiner, und könnte es auch
sein, dass wir uns von Gott abwenden könnten, so könnte sich doch Gott nimmer
von uns abwenden. Ich sage, ich will Gott nicht bitten, dass er mir gebe, ich
will ihn auch nicht loben für das, was er mir gegeben hat, sondern ich will ihn
bitten, dass er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn loben, dass er die
Natur und das Wesen hat, dass er geben muss. Wer das Gott nehmen wollte, der
nähme ihm sein eigenes Wesen und sein eigenes Leben. Dass wir so in Wahrheit
Sohn werden, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
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