Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Ein Zweites vom namenlosen Gott
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Von der Dunkelheit
Man liest im Evangelium: Als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er
mit Maria und Josef nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen,
da blieb Jesus im Tempel, ohne dass sie es wussten, und als sie nach Hause kamen
und ihn vermissten, suchten sie ihn unter den Bekannten und Unbekannten und
unter den Verwandten und in der Menge und fanden ihn nirgends. Sie hatten ihn in
der Menge verloren und mussten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren,
und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tempel, da fanden sie ihn.
So ist es in Wahrheit: Willst du diese edle Geburt finden, so musst
du alle Menge verlassen und musst zum Anfang zurückkehren und in den Urgrund,
von dem du ausgegangen bist. Alle Kräfte der Seele und ihr Werk sind bloß Menge;
Gedächtnis, Verstand und Wille vermannigfaltigen sich alle, darum musst du sie
alle lassen: Sinnlichkeit, Vorstellungen und alles, worin du dich selbst findest
oder suchst. Dann kannst du diese Geburt finden, aber sonst wahrlich nicht. Er
ward nie unter Freunden oder Verwandten und Bekannten gefunden, vielmehr
verliert man ihn da völlig.
Darum haben wir eine Frage hierüber: Ob der Mensch diese Geburt
etwa finden könne in etlichen Dingen, die zwar göttlich sind, aber von außen
hineingetragen durch die Sinne, wie einige Vorstellungen von Gott, zum Beispiel,
dass Gott gut, weise, barmherzig oder etwas dergleichen ist, was die Vernunft
schöpfen kann und was auch göttlich ist – ob man in all diesem diese Geburt etwa
finden könne? In Wahrheit, nein! Obwohl das alles gut und göttlich ist, ist es
doch alles von außen durch die Sinne hineingetragen worden: Es muss alles von
innen auf von Gott herausquellen, wenn diese Geburt eigen und rein
hineinleuchten soll, und all dein Werk muss sich hinlegen, und alle deine Kräfte
müssen den seinen dienen und nicht den deinen. Soll dies Werk vollkommen sein,
so muss es Gott allein wirken, und du darfst es allein empfangen. Wo du mit
deinem Willen und deinem Wissen wahrhaft ausgehst, da geht Gott wahrhaft und
willig mit seinem Wissen ein und leuchtet da in Klarheit. Wo sich Gott aber
wissen will, da kann dein Wissen nicht bestehen und zu nichts dienen. Du
brauchst nicht zu wähnen, deine Vernunft könne noch so wachsen, dass du Gott
erkennen könntest, sondern wenn Gott in dir göttlich leuchten soll, dazu fördert
dich ein natürliches Licht keineswegs, es muss vielmehr zu lauter Nichts werden
und völlig ausgehen; und dann kann Gott mit seinem Licht hineinleuchten und
bringt all das mit sich, das dir ausgegangen ist, und tausendfach mehr und eine
neue Form dazu, die alles in sich schließt.
Nun könntest du sagen: »Wahrlich, Herr, was soll dann meine
Vernunft, wenn sie so untätig stehen muss ohne alles Wirken? Ist das der nächste
Weg, dass ich mein Bewusstsein zu einer unerkannten Erkenntnis erhebe, die es
doch nicht geben kann? Denn erkennte ich etwas, so wäre es nicht Unerkanntheit
und wäre nicht frei und losgelöst: Soll ich denn ganz und gar in Dunkelheit
stehen?« Ja gewiss, du wirst nie besser stehen können, als wenn du dich völlig
in Dunkelheit und Unwissen setzest. »Ach, Herr, muss ich alles abtun, lässt sich
das gar nicht wenden?« Nein, wahrhaftig, das lässt sich wirklich nicht wenden.
»Was ist aber diese Dunkelheit, wie heißt sie oder wie ist ihr Name?« Ihr Name
ist lediglich: Möglichkeit des Empfangens, das der seienden Dinge nicht
bedürftig ist, und dahin sollst du gebracht werden. Und das lässt sich nicht
ändern. Wie die Materie nicht ruht, bis sie mit allen Formen erfüllt ist, so
ruht auch die Vernunft nimmer, bis sie erfüllt ist mit allem, was in ihr möglich
ist.
Es spricht ein heidnischer Meister: Die Natur hat nichts, was
rascher wäre als der Himmel, der überrascht alle Dinge mit seinem Lauf. Aber
sicherlich! Des Menschen Bewusstsein überrascht ihn noch mit seinem Lauf. Bliebe
es in seinem Vermögen wirksam und hielte es sich unverhöhnt und unzerrissen von
niedern und groben Dingen, es flöge höher als der höchste Himmel und ließe
nimmer ab, es käme in das Allerhöchste und würde da gespeist und geführt von dem
allerbesten Gut, das Gott ist.
Und darum ist es nützlich, dieser Möglichkeit nachzufolgen und sich
frei und losgelöst zu halten und allein dieser Dunkelheit und diesem Unwissen
nachzufolgen und nachzuhängen und nachzuspüren und nicht davon abzulassen, so
ist es dir wohl möglich, den zu erreichen, der alle Dinge ist. Und je mehr in
dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem.
Von dieser Wüste steht bei Jeremias geschrieben: »Ich will meine Freundin in die
Wüste führen und in ihrem Herzen mit ihr sprechen.« Das wahre Wort der Ewigkeit
wird allein in der Ewigkeit ausgesprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner
selbst und aller Mannigfaltigkeit entfremdet. Nach dieser Wüste und Fremde
begehrte der Prophet, als er sprach: »Ach, wer gibt mir Flügel, wie die Taube
hat, auf dass ich fliegen könnte, wo ich Ruhe finde?« Wo findet man Ruhe und
Rast? Wahrlich, da wo man aller kreatürlichen Dinge entworfen und entwüstet und
entfremdet ist. In diesem Sinne sagt David: »Ich erwählte lieber, verworfen und
verschmäht zu sein im Haus meines Gottes, als große Ehren und Reichtum zu haben
in der Taverne der Sünder.«
Nun könntest du fragen: »Fürwahr, Herr, muss das immer und
notwendig so sein, dass man aller Dinge entfremdet und zerwüstet ist, äußerlich
und innerlich, der Kräfte und ihrer Werke, muss das alles hinab? Das ist ein
schwerer Stand, wenn Gott den Menschen so ohne seinen Aufenthalt lässt, wenn
Gott der Menschen Verlassenheit so dehnt, dass er nicht in ihm ist, leuchtend
oder zusprechend oder wirkend, wie Ihr hier lehret und meinet. Wenn der Mensch
so in lauter Nichts steht, ist es dann nicht besser, dass er etwas tue, um diese
Dunkelheit und Entfremdung zu vertreiben, zum Beispiel dass er bete oder lese
oder eine Predigt höre oder andere Werke tue, was doch Tugenden sind, mit denen
man sich helfen soll?« Nein, das sollst du in Wahrheit wissen: Ganz und sehr
stille und ganz und gar leer zu verharren, ist dein allerbestes. Das merke. Ohne
Schaden kannst du dich nicht wieder irgend zu Dingen wenden. Das ist sicher: Du
wärest gern bereit, ein Teil von dir und ein Teil von ihm, das aber kann nicht
sein. Du kannst des Bereitseins nicht einmal denken oder begehren, wenn nicht
Gott vorher da ist. Gesetzt aber, es sei geteilt, das Bereitsein und das Wirken
oder Ergießen sei dein, was ja möglich ist, so musst du wissen, dass Gott wirken
und eingießen muss, sobald er dich bereit findet. Du darfst nicht wähnen, es sei
mit Gott wie mit der Person eines Zimmermanns, der wirkt und nicht wirkt, wie er
will, es steht in seinem Willen, wie er Lust hat zu tun und zu lassen. So steht
es aber nicht um Gott: Sondern wenn Gott dich bereit findet, so muss er wirken
und sich in dich ergießen, ebenso wie wenn die Luft lauter und rein ist, die
Sonne sich ergießen muss und sich dessen nicht enthalten kann. Fürwahr, es wäre
ein arg großer Fehler an Gott, wenn er nicht große Werke in dich wirkte und
großes Gut in dich gösse, sowie er dich frei und entblößt findet.
Es lehren uns die Meister, dass in demselben Moment, wo die Materie
des Kindes im Mutterleib bereit ist, in demselben Augenblick gießt Gott in den
Leib den lebendigen Geist, das heißt die Seele, die des Leibes Form ist. Es ist
ein Augenblick, bereit zu sein und einzugießen. Wenn die Natur auf ihr Höchstes
kommt, so tritt Gottes Gnade ein: In demselben Moment, wo der Geist bereit ist,
geht Gott hinein ohne Aufschub und ohne Zögern. Im Buch der Geheimnisse steht
geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: »Ich stehe vor der Tür und klopfe
und warte; wer mich einlässt, mit dem will ich schmausen.« Du brauchst ihn nicht
zu suchen, nicht da und nicht dort: Er ist nicht entfernter als vor der Türe des
Herzens, da steht er und harrt und wartet, wen er bereit findet, der ihm auftue
und ihn einlasse. Du brauchst ihn nicht in der Ferne zu rufen: Ihn kommt das
Warten, bis du auftust, härter an als dich. Er bedarf deiner tausend Mal mehr
als du seiner: Das Auftun und das Hineingehen ist nur ein Moment.
Nun könntest du fragen: Wie kann das sein? Ich empfinde ihn doch
nicht. Nun pass auf. Das Empfinden ist nicht in deiner Gewalt, sondern in
seiner. So es ihm ansteht, so zeigt er sich, und kann sich verbergen, so er
will. Das musst du wissen: Gott kann nichts leer oder hohl lassen; dass irgend
das Geringste leer und hohl sei, das kann der Naturgott nicht leiden. Darum,
wenn es dich dünkt, du fändest ihn nicht und er sei nicht in dir, dem ist nicht
so. Denn wäre irgendetwas leer unterm Himmel, es wäre was es wollte, groß oder
klein, so zöge es entweder der Himmel zu sich hinauf, oder er müsste sich
herniederneigen und den Himmel hineingießen. Gott, der Meister der Natur, leidet
es durchaus nicht, dass irgendetwas leer sei. Darum steh still und wanke nicht,
denn du kannst dich zur Stunde von Gott abwenden und kommst dann nimmermehr zu
ihm.
Du könntest fragen: Soll der Mensch sich kasteien, und versäumt er
etwas, wenn er sich nicht in der Buße übt? Höre. Alles Bußleben ist neben andern
Ursachen darum erfunden, sei es nun Fasten, Wachen, Beten, Geißeln, härene
Hemden tragen, hart liegen oder was sonst immer, das ist alles darum erdacht,
weil der Leib und das Fleisch sich allezeit dem Geist entgegenstellt. Der Leib
ist ihm viel zu stark, ein richtiger Kampf ist immerzu unter ihnen, ein ewiger
Streit. Der Leib ist hier kühn und stark, denn er ist hier zu Hause, die Welt
hilft ihm, die Erde ist sein Vaterland, ihm helfen hier alle seine Verwandten:
die Speise, der Trank, die Schönheit: das ist alles gegen den Geist. Der Geist
ist hier fremd, aber im Himmel sind alle seine Verwandten und sein ganzes
Geschlecht: da ist er gar heimisch. Um dem Geist zu Hilfe zu kommen in dieser
Fremde und das Fleisch etwas zu schwächen in diesem Streit, damit der Leib den
Geist nicht überwindet, darum tut man ihm den Zaum der Bußübungen an und darum
bedrückt man ihn, damit der Geist sich seiner erwehren könne. Da man ihm das
tut, damit er ein Gefangener sei, so lege ihm, wenn du ihn tausend Mal besser
fangen und beladen willst, den Zaum der Liebe an. Mit der Liebe überwindest du
ihn am allerschnellsten, und mit der Liebe belädst du ihn am stärksten. Und
darum stellt uns Gott mit keinen Dingen so sehr nach wie mit der Liebe. Denn
mit der Liebe geht es just ebenso wie mit der Angel des Fischers: Der Fischer
kann den Fisch nicht erhalten, wenn der sich nicht an der Angel fängt. Wenn er
nach der Angel schnappt, dann ist der Fischer seiner sicher. Wohin sich der
Fisch dann wendet, hin oder her, der Fischer hat ihn ganz sicher. So spreche ist
auch von der Liebe: Wer von ihr gefangen wird, der hat das allerstärkste Band
und doch eine süße Bürde. Wer diese süße Bürde auf sich genommen hat, der
erreicht damit mehr und kommt weiter damit als mit all der Buße und Strenge, die
je Menschen üben könnten. Er kann auch sanft und geduldig alles tragen und
leiden, was ihn trifft und was Gott über ihn verhängt. Nichts macht dich Gott so
eigen, und durch nichts wird Gott dir so eigen als durch dieses süße Band. Wer
diesen Weg gefunden hat, der suche keinen andern. Wer an dieser Angel haftet,
der ist so gefangen, dass der Fuß und die Hand, der Mund, die Augen, das Herz
und alles was am Menschen ist, das muss alles Gott zu eigen sein. Und darum
kannst du diesen Feind niemals besser überwinden, dass er dir nicht schade, als
mit der Liebe. Wer in diesem Stricke gefangen ist und in diesem Wege wandelt,
welch Werk er immer wirke, das wirkt die Liebe. Seine Ruhe ist besser als eines
andern Wirken. Darum warte allein auf diese Angel, so wirst du selig gefangen,
und je mehr gefangen desto mehr befreit. Dass wir so gefangen und befreit
werden, dazu verhelfe uns der, der selber die Liebe ist. Amen.
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