Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
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Vom Unwissen
Wo ist, der geboren ist als König der Juden?« – Höret nun, wie diese
Geburt vor sich geht.
Die ewige Geburt bringt allewege großes Licht in die Seele, denn es
ist die Art des Guten, dass es sich ergießen muss, wo immer es ist. In dieser
Geburt ergießt sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so groß
wird im Wesen und im Grunde der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die
Kräfte und auch in den äußern Menschen überfließt. Dieses Lichtes wird der
Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleißt und glänzt in ihm
ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute
Lehre, wovon er vorher nichts wusste und verstand. »Woher weißt du das?« Merk
auf: Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders
könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig,
dass dich alles verdrießt, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin
sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer
draußen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass
sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und
Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern
und nehme ihrer wahr: So werden alle Kräfte und der äußere Mensch erleuchtet.
Denn so wie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das
Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr, als ihn jemand lehren
könnte. Daher spricht der Prophet: »Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je
lehrten.«
Hier erhebt sich die Frage: Da Gottvater allein im Wesen und im
Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was
soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen? Wozu
ist das not, da in den Kräften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber
beachte die folgende Unterscheidung: Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines
Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das Erste in der Meinung und das Letzte
im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen
Zweck, das heißt: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem
Zweck führen, das heißt: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum
gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem
Zwecke kommen. Er trachtet nach allem, was in der Seele ist, und ladet es alles
zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach
außen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die
Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher
sind ihre Werke umso weniger im Stande, inwendig zu wirken: Denn jede zerteilte
Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will,
alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem
inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie
liebt, als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein
heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt und saß vor Stäben
und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein
Schwert [er wusste nicht, dass es der Meister war] und sprach: »Sprich schnell,
wie du heißest, oder ich töte dich.« Der Meister war so sehr in sich gekehrt,
dass er den Feind nicht sah noch hörte noch merken konnte, was er wollte. Und
als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht
sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war, um eine natürliche Kunst zu
gewinnen. Wie ungleich mehr sollten wir uns allen Dingen entziehen und alle
unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit
zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein
Nachdenken: Kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt!
Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und
musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.
Es erhebt sich wieder eine Frage: Wäre es nicht angemessener, dass
eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte und dass keine die andre an ihren
Werken hindre und dass sie auch Gott nicht an seinen Werken hindre? In mir kann
eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne
Hindernis weiß, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den
folgenden Unterschied: Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild
erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt
in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum andern zu wenden, wie
wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, dass wir allezeit einen
Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in einem Bilde
sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns
nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem
einen aufhalten ohne Hinderung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden
mit den Kräften, dass sie mit ihnen überall hinfließt, wo sie hinfließen, denn
bei all den Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein und zwar mit
Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts.
Fließt sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äußerlichen Werken zu, so muss sie
notwendigerweise umso schwächer bei ihrem inneren Werke sein, denn zu dieser
Geburt will und muss Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der
nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf niemanden warten darf
als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer etwas anderes liebt
als mich und Vater und Mutter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner
nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Frieden zu bringen, sondern
das Schwert, auf dass ich alle Dinge abschneide und den Bruder, das Kind, die
Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.« Denn was dir
lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein
Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muss wahrlich von
all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.
Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk
wirken will, so muss er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel
seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann
er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es
muss in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden
soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit
Schweigen: Dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem
Unwissen. Wenn man nichts weiß, dann zeigt und offenbart es sich.
Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein
Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen geschaffen, dass er
wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muss
wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das
Wissen aber soll sich formen zu einer Überform, und dies Unwissen soll nicht vom
Nichtwissen kommen, vielmehr: Vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann
sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen
geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier, wo wir uns
empfangend verhalten, sind wir vollkommener, als wenn wir wirkten. Darum sprach
ein Meister, dass die Kraft des Hörens auf viel höherer Stufe stände als die
Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen
und lebt hier mehr in der Weisheit. Man erzählt von einem heidnischen Meister,
dass seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst
und großer Erkenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und
hörte zu und sagte: »Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, dass ich sie
in der Ewigkeit anwenden kann.« Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen
zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der
Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des
ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören
bin ich empfangend und beim Sehen wirkend.
Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unseren Werken, vielmehr
daran, dass wir Gott empfangen. Denn um so viel höher steht das Werk Gottes als
das meine. Ja aus grenzenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen
gelegt, indem wir mehr empfangen als wir wirken und bei weitem mehr nehmen als
geben, und jede Gabe bereitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine
größere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer größeren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, dass
darin die Seele Gott ebenmäßig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so
grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Empfangen. Und wie Gott im
Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Nehmens, und darum wird
sie mit Gott und in Gott überformt. Gott soll wirken, und die Seele soll
empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben mit seiner Liebe, und
darum ist sie viel seliger vom Seinen als vom Ihren, und ihre Seligkeit beruht
mehr in seinem Wirken als in ihrem.
Den Sankt Dionysius fragten seine Jünger, warum sie alle von
Timotheus an Vollkommenheit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist
ein Gott empfangender Mann. Wer sich darauf recht verstünde, der überholte alle
Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel, sondern deine oberste
Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser
Weise musst du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen
bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den
geborenen König finden, so musst du alles, was du sonst vielleicht findest,
überholen und zu Boden werfen. Dass wir das alles überholen und verlieren, was
diesem geborenen König nicht wohl gefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum
Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskind werden. Amen.
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