Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer
Predigten
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Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
Von der Stadt der Seele
Vom namenlosen Gott
Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
Von unsagbaren Dingen
Vom Leiden Gottes
Von der Einheit der Dinge
Wie Jesus an dem Stricke zog
Von der Erkenntnis Gottes
Von der Armut
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Von der Erneuerung des Geistes
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Von unsagbaren Dingen
»Fürchtet nicht, die euch körperlich töten wollen, denn die Seele können sie
nicht töten!«, denn Geist tötet nicht Geist. Geist gibt dem Geist Leben. Die
euch töten wollen, das ist Blut und Fleisch, und das stirbt miteinander. Das
Edelste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es guten Willens ist. Aber das
Ärgste, was am Menschen ist, ist das Blut, wenn es bösen Willens ist. Siegt das
Blut über das Fleisch, so ist der Mensch demütig, geduldig und keusch und hat
alle Tugend in sich. Siegt aber das Fleisch über das Blut, so wird der Mensch
hochfahrend, zornig und unkeusch und hat alle Untugend in sich.
Nun passt auf, ich will jetzt sagen, was ich nie gesagt habe. Als
Gott den Himmel, die Erde und alle Kreaturen schuf, da wirkte Gott nicht; er
hatte nichts zu wirken; in ihm war auch kein Werk. Da sprach Gott: »Wir machen
einen Gleichen.« Schöpfen ist ein leichtes Ding, das tut man, wenn und wie man
will. Aber was ich mache, das mache ich selbst aus mir selbst und in mir selbst
und drücke mein Bild ganz und gar darein.
Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein Werk
des Gleichen, sein wirkendes und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so groß,
dass es nichts anderes war als die Seele: Die war das Werk Gottes. Gottes Natur,
sein Wesen und seine Gottheit hängen daran, dass er in der Seele wirken muss.
Gottes Segen, Gottes Segen! Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein
Werk. Das Werk ist die Liebe, und die Liebe ist Gott. Gott liebt sich selbst und
seine Natur, sein Wesen und seine Gottheit. In der Liebe, worin Gott mich liebt,
liebt er alle Kreaturen. Nicht als Kreaturen liebt er sie, sondern die Kreaturen
als Gott. Mit der Liebe, worin Gott sich liebt, liebt er alle Dinge.
Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe. Gott empfindet und
schmeckt sich selbst. Mit dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er
alle Kreaturen, nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In dem
Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Dinge. Nun passt auf. Alle
Kreaturen nehmen ihren Lauf zu ihrer höchsten Vollkommenheit. Nun bitte ich
euch, vernehmet bei der ewigen Wahrheit und bei meiner Seele. Nun will ich sagen,
was ich nie gesagt habe: Gott und Gottheit unterscheiden sich so sehr wie Himmel
und Erde. Der Himmel steht viel tausend Meilen darüber. Gott wird und wird
zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede: Gott schmeckt sich selbst in
allen Dingen. Die Sonne wirft ihren lichten Schein aus auf alle Kreaturen, und
worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in sich und verliert doch
nicht ihre Scheinhaftigkeit. Alle Kreaturen geben ihr Leben um ihres Wesens
willen auf. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft hinein, damit sie in
mir vernünftig sind. Ich allein bringe alle Kreaturen zu Gott zurück.
Wartet, was ihr alle tut! Nun komme ich wieder auf meinen inneren
und äußeren Menschen. Ich betrachte die Lilien auf dem Felde und ihren lichten
Schein und ihre Farbe und alle ihre Blätter. Aber ihren Duft sehe ich nicht.
Warum? Weil der Duft in mir ist. Aber auch was ich spreche, ist in mir, und ich
spreche es aus mir heraus. Alle Kreaturen schmecken meinem äußern Menschen als
Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem inneren Menschen schmeckt
nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes. Und mein innerster Mensch schmeckt
sie nicht als Gabe Gottes, sondern als immer und ewig. Ich nehme ein Becken mit
Wasser und lege einen Spiegel hinein und setze es unter das Rad der Sonne, so
wirft die Sonne ihren lichten Schein aus dem Rad und aus dem Boden der Sonne
vergeht doch nicht. Das Widerspiegeln des Spiegels in der Sonne ist in der
Sonne; ist Sonne, und sie ist doch, was sie ist. So ist es mit Gott. Gott ist
mit seiner Natur, seinem Wesen und seiner Gottheit in der Seele, und er ist doch
nicht die Seele. Das Widerspiegeln der Seele ist in Gott. Ist Gott, und sie ist
doch, was sie ist. Gott wird da zu allen Kreaturen – Gottes Sprechen wird da zu
Gott.
Als ich in dem Grunde, in dem Boden in dem Fluss und in der Quelle
der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte:
Da war niemand, der mich fragte. Als ich floss, da sprachen alle Kreaturen Gott.
Fragte man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause? Da war ich
drinnen. So sprechen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen sie nichts von
der Gottheit? Alles, was in der Gottheit ist, ist eins, und davon ist nichts zu
sprechen. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat nichts zu wirken, in ihr
ist kein Werk. Gott und Gottheit unterscheiden sich wie Wirken und Nichtwirken.
Wenn ich wieder in Gott komme, dann bilde ich nicht, so steht meine Mündung viel
höher als mein Ursprung. Ich allein bringe alle Kreaturen aus ihrer Vernunft in
meine Vernunft, dass sie in mir eins sind. Wenn ich in den Grund, in den Boden,
in den Fluss und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher
ich komme oder wo ich gewesen sei. Da vermisste mich niemand, das hört da alles
auf.
Wer diese Predigt verstanden hat, dem gönne ich’s gern. Wäre hier
kein Mensch gewesen, so hätte ich sie diesem Stocke predigen müssen. Es sind
etliche arme Leute, die gehen wieder heim und sagen: Ich will mich auf den Stuhl
setzen und mein Brot essen und Gott dienen. Ich sage aber in Wahrheit, diese
Leute müssen verirrt bleiben und können nimmer erreichen und erlangen, was die
anderen erreichen, die Gott in Armut und Entblößtheit nachgehen. Amen.
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