Meister Eckharts
mystische Schriften
übertragen von Gustav Landauer


Predigten

Vom Schweigen
Vom Unwissen
Von der Dunkelheit
Von stetiger Freude
Von der Stadt der Seele
Vom namenlosen Gott
Vom innersten Grunde
Von der Vollendung der Zeit
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Von guten Gaben
Von unsagbaren Dingen
Vom Leiden Gottes
Von der Einheit der Dinge
Wie Jesus an dem Stricke zog
Von der Erkenntnis Gottes
Von der Armut
Von Gott und der Welt
Von der Erneuerung des Geistes
Von der Natur
Von Gott und Mensch
Vom Tod
Was ist Gott?
Vom persönlichen Wesen

Traktate

Von den Stufen der Seele
Gespräch zwischen Schwester
   Kathrei und dem Beichtvater

Von der Abgeschiedenheit
Von der Überfreude
Die Seele auf der Suche nach Gott
Von der Überfahrt zur Gottheit
Vom Zorn der Seele

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Vom persönlichen Wesen

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe wohnt, der wohnt in Gott und Gott in ihm. Gott wohnt in der Seele mit allem dem, was er ist, und alle Kreatur. Darum: Wo die Seele ist, da ist Gott, denn die Seele ist in Gott. Darum ist auch die Seele, wo Gott ist, es sei denn, dass die Schrift lüge. Wo meine Seele ist, da ist Gott, und wo Gott ist, da ist auch meine Seele, und das ist so wahr, als Gott Gott ist.
   Nicht allein von Natur, sondern über Natur freut sich meine Seele aller Freude und aller Seligkeit, deren sich Gott selber freut in seiner göttlichen Natur, es sei Gott lieb und leid, denn deren ist nur eines, und wo eins ist, da ist alles, und wo alles ist, da ist eins. Das ist eine sichere Wahrheit. Wo die Seele ist, da ist Gott, und wo Gott ist, da ist die Seele. Und sagte ich, dass es nicht so sei, so spräche ich unrecht.
   Fürwahr, nun achtet auf ein Wörtlein, das halte ich gar wert, denn ich gedenke dessen, wie eins er mir ist, als ob er aller Kreatur vergessen habe und nicht mehr sei als ich allein. Nun bittet für die, die mir empfohlen sind! Die da um ein Teil Gottes oder um Gott bitten, die bitten unrecht; wenn ich um nichts bitte, so bitte ich recht, und das Gebet ist recht und ist kräftig. Wer irgendetwas anderes bittet, der betet einen Abgott an, und man könnte sagen, es wäre lauter Ketzerei. Ich bitte nie so wohl, als wenn ich nichts bitte und für niemand, weder für Heinrich noch für Konrad. Die wahren Anbeter beten Gott in der Wahrheit an und im Geist [nämlich im heiligen Geist]; was Gott in der Kraft ist, das sind wir im Bilde. Da erkennen wir, wie wir erkannt sind, und lieben, wie wir geliebt sind. Das ist auch ohne Werk, denn die Seele ist da eins mit dem Bilde und wirkt in der Kraft als Kraft; sie ist auch eins mit den Personen und besteht im Vermögen des Vaters und in der Weisheit des Sohnes und in der Güte des heiligen Geistes. Dies ist alles noch Werk in den Personen; das Wesen darüber aber ist ohne Werk, sondern da ist alles eins, Wesen und Werk, wo sie in Gott ist, ja, wo die Personen in das Wesen hineinreichen, da ist Werk und Wesen eins, da liebt sie die Personen, sofern sie im Wesen innen bleiben und nie herauskommen, da ist ein reines wesenhaftes Bild, es ist die wesenhafte Vernünftigkeit Gottes, der die reine Kraft des Lebendigen ist, intellectus, was die Meister ein Vernehmendes nennen. Nun passt wohl auf. Darum liebt sie erst die reine absolutio des freien Wesens, das ohne Ort ist, das nicht liebt und nicht gibt, es ist die bloße Istigkeit, die alles Wesens und aller Istigkeit beraubt ist. Da liebt sie Gott bloß nach dem Grunde, da wo er ist, über alle Wesen. Wäre da noch Wesen, so nähme sie Wesen in Wesen; es ist da nichts als ein Grund. Dies ist die höchste Vollkommenheit des Geistes, wozu man in diesem Leben in der Art des Geistes kommen kann. Aber das ist nicht die höchste Vollkommenheit, die wir jemals mit Leib und Seele erreichen sollen, dass der gequälte Mensch allzumal in dieser Unterkunft festgehalten werde, ein persönliches Wesen habe – sowie die Menschheit und die Gottheit Christi ein persönliches Wesen ist –, dass ich nun darin Unterkunft habe, dass ich das persönliche Wesen selber sei allzumal in meinem Selbstbewusstsein verharrend – wo ich doch in der Art des Geistes, in dem Grunde eins bin, so wie der Grund selbst ein Grund ist – und dass ich hinwiederum in meinem äußeren Wesen dasselbe persönliche Wesen sei, das seines Selbstbewusstseins völlig beraubt sei: Dieses persönliche Wesen, Mensch-Gott, entwächst vielmehr und schwebt über den äußeren Menschen hinaus so weit, dass er ihm nicht mehr folgen kann. Bleibt er in sich selbst stehen, so empfängt er wohl den Einfluss der Gnade von dem persönlichen Wesen in mancherlei Weise, Süßigkeit, Trost und Innigkeit, und das ist gut, aber es ist nicht das Höchste. Bleibt er also in sich selbst in der Unterkunft seiner selbst, so empfängt er wohl Trost aus Gnade und mit der Wirkung der Gnade, aber das ist nicht sein Bestes; dann müsste der innere Mensch sich nach Geistesart aus dem Grunde, in dem er eins ist, herausbiegen und müsste sich dem gnadenhaften Wesen zuwenden, von dem er Gnade empfängt. Darum kann der Geist so niemals vollkommen werden, Leib und Seele werden vollendet, wenn der innere Mensch in der Art des Geistes seinem eigenen Wesen entrinnt dahin, wo er im Grunde ein Grund ist; und ebenso muss auch der äußere Mensch der eigenen Unterkunft beraubt werden und allzumal in dem ewigen persönlichen Wesen aufgehen, das ein und dasselbe persönliche Wesen ist. Nun sind hier zwei Wesen. Das eine Wesen ist in der Gottheit das bloße substanzliche Wesen; das andere das persönliche Wesen, und ist doch ein Untergrund. Denn derselbe Untergrund, Christi Persönlichkeit, ist auch der Untergrund der Seele, die Stätte des ewigen Menschtums, und diese Unterkunft ist ein Christus, das leiblich Seiende wie das Selbstbewusstsein der Person. Daher wollen wir auch eben dieser Christus sein, damit wir ihm in den Werken nachfolgen, wie er in dem Wesen ein Christus in menschlicher Art ist; denn da ich mit meinem Menschtum dieselbe Art bin, so bin ich mit dem persönlichen Wesen dergestalt vereinigt, dass ich aus Gnade in dem persönlichen Wesen eins und das persönliche Wesen selber bin, denn Gott bleibt ewiglich im Grund des Vaters und ich in ihm, ein Grund und ein und derselbe Christus, eine Stätte meines Menschtums; es ist ebenso sehr mein wie sein in einer Verkörperung des ewigen Wortes, auf dass beide Wesen, Leib und Seele, in einem Christus vollendet werden, ein Gott, ein Sohn. Dass uns das geschehe, das walte Gott.